© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/06 01. Dezember 2006

"Sprachverbote sind Denkbarrieren"
Gerhard-Löwenthal-Preis 2006: Im Gespräch mit Thomas Paulwitz, Schriftleiter der "Deutschen Sprachwelt"
Thorsten Thaler

Herr Paulwitz, was bedeutet Ihnen die deutsche Sprache?

Paulwitz: Meine Muttersprache hilft mir in zwei Dingen: sowohl meine Gedanken zu entwickeln als auch meine Gedanken zu äußern. Wilhelm von Humboldt stellte richtigerweise fest: "Der Mensch ist nur durch die Sprache Mensch." Außerdem lebt in der Sprache der große Erfahrungsschatz, den uns unsere Vorfahren hinterlassen haben. Das Vaterland lebt in der Muttersprache. Sie ist ein wichtiger Teil unserer Identität. Angriffe auf dieses Kulturgut abzuwehren, liegt deswegen nicht nur im Interesse des einzelnen, sondern im Interesse des ganzen Volkes. Wer die Sprache schädigt, behindert das Denken und greift die Identität an.

Was bedeuten vor diesem Hintergrund Eingriffe in die deutsche Sprache, wie etwa durch Rechtschreibreform oder "Political Correctness", für unsere Wirklichkeitswahrnehmung?

Paulwitz: Die Rechtschreibreform richtet sich gegen den Leser, denn sie erschwert das Verständnis von Texten. Gleichzeitig greift sie die große Kulturleistung weitgehend einheitlicher Schreibweisen an. Das verunsichert und spaltet die Sprachgemeinschaft. Ist die Verständigung zwischen den Sprachteilnehmern gestört, sind sie leichter zu manipulieren und zu beherrschen: divide et impera, teile und herrsche. Die Zersplitterung der Sprache ist somit auch ein Angriff auf die Demokratie.

Das müssen Sie näher erläutern.

Paulwitz: Sprachverbote sind Denkbarrieren. Was man nicht mehr eindeutig benennen kann, kann man nur unter erschwerten Bedingungen verstehen. Die Bezeichnung "Hartz IV" gibt keinen Hinweis darauf, worum es bei diesem Gesetz geht. Die sogenannte "Political Correctness" will Probleme lösen, indem sie die Namen für diese Probleme tabuisiert. Das erschwert aber das Denken und Sprechen über diese Probleme, so daß sie nicht gelöst, sondern verdrängt werden, bis schließlich das böse Erwachen kommt. Die "Bibel in gerechter Sprache" mag lächerlich wirken; die Idee jedoch, die dahintersteckt, darf man nicht unterschätzen. Letztlich handelt es sich um den Versuch einer Minderheit, die Mehrheit umzuerziehen.

Wenn Sprache untrennbar mit unserer Wirklichkeitswahrnehmung verbunden ist, müßte man dann ihre Pflege nicht auch als ein künstlerisches Anliegen von nationaler Dimension begreifen?

Paulwitz: Schiller hat die Sprache als "Spiegel der Nation" bezeichnet. Der Sprachpflege muß es also nicht nur darum gehen, die Sprache so verständlich wie möglich zu machen, sondern auch darum, das nationale kulturelle Erbe für nachfolgende Generationen zugänglich zu halten. Das alles geht am besten, wenn eine gewisse Einheitlichkeit erreicht wird.

In welchem Verhältnis steht ein solches Verständnis von Sprache zu der gängigen Vorgehensweise, Sprache vom grünen Tisch aus reglementieren zu wollen?

Paulwitz: Wer selbstherrlich in die Sprache eingreift, fällt auf die Nase. Die Rechtschreibreformer haben an der Sprachgemeinschaft vorbei neue Regeln erfunden, die niemand brauchte und niemand wollte. Deswegen mußte diese sogenannte Reform scheitern. Sie hat die versprochenen Erfolge nicht gebracht.

Sie engagieren sich seit vielen Jahren gegen die Rechtschreibreform. Wie sieht Ihre Bilanz heute aus?

Paulwitz: Der Widerstand hat sich gelohnt. Einige der dümmsten Regeln wurden zurückgenommen. Das Ziel, daß die Reform vollständig abgeschafft wird, haben wir allerdings noch nicht erreicht. Deswegen dürfen wir jetzt nicht aufhören, Widerstand zu leisten. Der restliche Unsinn wird um so schneller zurückgenommen, je öfter wir den Finger in die Wunde legen.

Fakt ist doch aber, daß die auf Konrad Duden zurückgehende Einheit der deutschen Schriftsprache perdu ist?

Paulwitz: Die Rechtschreibreform hat uns um zweihundert Jahre zurückgeworfen, das ist richtig. Das schließt aber nicht aus, daß die Einheit wiederhergestellt werden kann. Wichtig wäre, daß die Kultusminister ihren Starrsinn ablegen und die weitere Rücknahme unsinniger Regelungen zulassen.

Konservierung historischer oder gegenwärtiger Formen kann auch nicht die Lösung sein. Wie könnte statt dessen eine verantwortliche Sprachpflege und Sprachgestaltung aussehen, die Bewährtes bewahrt, sich gleichwohl für Kommendes offenhält?

Paulwitz: Es geht sowohl um die Erhaltung als auch um die Weiterentwicklung der Sprache. Zum einen dürfen wir nicht zulassen, daß Bestehendes zerstört wird: zum Beispiel eine hochentwickelte Wissenschaftssprache, eine funktionierende Rechtschreibung oder ein ausdrucksreicher Wortschatz. Zum anderen dürfen wir die Weiterentwicklung der deutschen Sprache nicht vernachlässigen. Das bedeutet zum Beispiel, daß wir neue Dinge mit eigenen Wörtern benennen können. Verantwortungsvolle Sprachpflege hat das Ziel, das Sprachbewußtsein zu schärfen und zur Sprachtreue aufzurufen. Sie hat zwei Zielgruppen: die einzelnen Sprachteilnehmer und die Sprachbeeinflusser in Politik, Wirtschaft und Medien. Letzteren schauen wir besonders auf die Finger.

Sprechen wir über Sie: Vor sechs Jahren haben Sie die "Deutsche Sprachwelt" mitbegründet, deren Schriftleiter Sie bis heute sind. Wie sind Sie dazu gekommen?

Paulwitz: Den Sprachfreunden fehlte damals ein Sprachrohr. Als sich 1999 die FAZ auf das Abenteuer Rechtschreibreform einließ, wurden in den Medien keine reformkritischen Stimmen mehr veröffentlicht. Der große Zuspruch zu dem Engleutsch-Wörterbuch, mit dem wir erstmals 1998 deutsche Entsprechungen für Anglizismen anboten, gab uns den Mut, eine regelmäßige Publikation herauszubringen: als Plattform, auf Spendenbasis, ohne Bindung der Leser an einen Sprachverein. Nach einem Jahr Planung und Vorbereitung konnten wir im Mai 2000 die erste Ausgabe der Deutschen Sprachwelt drucken lassen.

Welche Ziele, welche Absicht verfolgen Sie mit Ihrer Zeitung?

Paulwitz: Wir treten für eine lebendige deutsche Sprache ein und wollen den Wert verdeutlichen, den unsere Muttersprache hat. Die Zeitung ist ein Sprachrohr für sprachbewußte Menschen. Mit der Unterstützung unserer Leser reden wir Sprachsündern ins Gewissen und bestärken diejenigen, die sich für die Sprache einsetzen. Deswegen gibt es bei uns nicht nur eine "Sprachsünderecke", die gezielten Protest ermöglicht; unsere Leser zeichnen auch jedes Jahr "Sprachwahrer" aus.

Wie sind Ihre Kontakte zu anderen Sprachschützern und deren Publikationen?

Paulwitz: Zersplitterung im Kampf für die deutsche Sprache können wir uns nicht leisten. Wir müssen die Stärken verschiedener Kräfte bündeln. Deswegen arbeiten wir mit allen zusammen, die guten Willens sind. Die Deutsche Sprachwelt befindet sich in einem Netz gleichgesinnter Organisationen. Wir haben zum Beispiel sehr gute Verbindungen zur Aktion Deutsche Sprache in Hannover, zum Sprachrettungsklub Bautzen/Oberlausitz, zum Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege und zu verschiedenen Regionalleitern des Vereins Deutsche Sprache.

Worin besteht für Sie die Bedrohung durch eine Flut von Anglizismen?

Paulwitz: Wenn zu viele unnötige Anglizismen verwendet werden, leidet die Verständlichkeit darunter. Deutsche Wörter werden verdrängt, die Bildung eigener Wörter wird behindert. Manche Sprachgaukler nutzen mangelnde Englischkenntnisse sogar aus, indem sie in englische Wörter kleiden, was auf deutsch wenig Eindruck machen würde. Wie in Hans Christian Andersens "Des Kaisers neue Kleider" wagen dann viele nicht zu sagen: "Aber er hat ja gar nichts an!"

Deutschland ist der größte Beitragszahler der EU. Trotzdem ist Deutsch in der Praxis noch immer nicht gleichberechtigte EU-Sprache. Warum unternimmt die Politik da nichts?

Paulwitz: Es hat immer wieder Vorstöße gegeben, Deutsch in der EU zu stärken, mit geringem Erfolg. Bundestagspräsident Norbert Lammert etwa hat die Kommission dazu aufgefordert, künftig alle EU-Dokumente ins Deutsche zu übersetzen, was an sich eine Selbstverständlichkeit sein müßte. Leider ist Deutsch gegenüber Englisch und Französisch immer noch im Hintertreffen. Wir fordern von der deutschen Regierung, daß sie sich während ihrer EU-Ratspräsidentschaft im nächsten Jahr mit aller Kraft für die deutsche Sprache einsetzen wird.

 

Thomas Paulwitz wurde 1973 im oberbayerischen Eichstätt geboren. Nach dem Abitur studierte er an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen Biologie bis zum Vordiplom, anschließend Geschichte und Politische Wissenschaft bis zum Magister. Im Jahr 2000 gehörte er zu den Gründern der "Deutschen Sprachwelt", deren Redaktion er seither leitet. Thomas Paulwitz ist verheiratet und hat einen Sohn.

 

weitere Interview-Partner der JF


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen