© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/06 01. Dezember 2006

Das Groteske an der Neuen Welt
Erzählungen vom wirklich großen Kino: Zum hundertsten Geburtstag des österreichischen Filmregisseurs Otto Preminger
Werner Olles

Von all den europäischen Emigranten, die in den vierziger und fünfziger Jahren das Hollywood-Kino bestimmten, aber auch in Frage stellten, wie Jean Renoir, Fritz Lang, Max Ophüls, Douglas Sirk, Ernst Lubitsch, Fred Zinnemann und nicht zuletzt Billy Wilder, war Otto Preminger wohl derjenige, der am überzeugendsten seine Gastheimat Amerika selbst zum Thema machte.

Doch bevor er sich in Hollywood als Regisseur etablierte, war Preminger Regieassistent und Schauspieler bei Max Reinhardt und später Direktor des Kaiserjubiläumsstadttheaters, der späteren Volksoper. 1932 führte er am Wiener Burgtheater Regie bei der Inszenierung von Johann Nestroys "Das Haus der Temperamente". Von 1933 bis 1935 amtierte er als künstlerischer Direktor des Theaters in der Josefstadt und siedelte dann in die USA über. Hier avancierte er zunächst zum Regieassistenten von Lubitsch.

Preminger, am 5. Dezember 1906 in Wien geboren, war promovierter Jurist. Sein Blick auf Amerika war jedoch der eines Fatalisten, der in Mord und Gewalt und in den erotischen Obsessionen und Irritationen der "Neuen Welt" stets auch das Groteske sah. Allerdings verarbeitete Preminger diese Erkenntnis gänzlich anders als etwa Wilder, dessen gesellschaftskritische Komödien durchaus als vergnügliche Fortsetzungen der "Schwarzen Serie" angesehen werden können.

Im Grunde ist Laura nur irgendeine Karrierefrau

1944 drehte Otto Preminger seinen ersten wichtigen Hollywood-Film: "Laura". Die Geschichte ist zunächst eine ziemlich gewöhnliche Kriminalhandlung. Der Detektiv McPherson (Dana Andrews) wird mit der Aufklärung des Mordes an der Werbeleiterin Laura Hunt (Gene Tierney) beauftragt. Eine Schrotladung hat ihr Gesicht bis zur Unkenntlichkeit entstellt, doch eines Tages kommt die Totgeglaubte zurück. Offenbar hat der Mörder sich im Opfer geirrt. Als er einen weiteren Fehler begeht, verrät er sich schließlich. Es ist ein alternder, bösartiger Journalist, der hinter seinem Sarkasmus und seiner Härte die unerfüllte Liebe verbirgt, die er für Laura hegte. Als sie ihn abwies, tat er alles, um andere Männer von ihr fernzuhalten. Lauras Unschuld war seine paranoide Lebenslüge. Im Laufe der Handlung verfallen der Mörder und der Detektiv jener geheimnisvoll-schönen Laura, die aber im Grunde nur irgendeine attraktive Karrierefrau ist.

Preminger, der die Regie nach wenigen Drehtagen von Rouben Mamoulian übernahm, nachdem dieser von Produzent Zanuck entlassen wurde, verwandelt die Gefühle der Männer, als das Bild der Frau der Realität nicht länger standhält, in Haß und Verachtung. Der Widerspruch zwischen Lauras Erscheinung und ihrem Wesen schlägt schließlich voll auf die Männer zurück. Erst in allerletzter Minute kann ein weiteres Verbrechen in diesem Netzwerk aus Lügen, Träumen und Gewalt verhindert werden.

Das negative Frauenbild des "Film noir" und die Infragestellung ihres erotischen Status quo hielt Preminger auch in "Engelsgesicht" (1952) durch. Diane (Jean Simmons) läßt ihren Vater und ihre Stiefmutter durch einen vorgetäuschten Unfall beseitigen und heiratet ihren Komplizen Frank (Robert Mitchum), einen biederen Krankenwagenfahrer, der ihretwegen seine Freundin verließ. Doch die verwöhnte, pathologisch eifersüchtige Diane nimmt ihn, als er schließlich aufrichtige Reue zeigt und sich der Polizei stellen will, mit in ihren Freitod. "Angel Face" gilt bis heute als das exemplarische "Low-Budget-Kino" der Schwarzen Serie: kalt, düster, dramatisch - ein kleines Meisterwerk.

In Premingers Edel-Western "Fluß ohne Wiederkehr" (1954) kommt der Witwer Matt Calder (Robert Mitchum) im Jahre 1875 in eine Goldgräber-Zeltstadt im Nordwesten der USA. Er hat im Gefängnis gesessen, weil er einen Mann getötet hat, und will nun seinen zehnjährigen Sohn Mark abholen, der bei der blonden Barsängerin Kay (Marilyn Monroe) Zuflucht und Schutz gefunden hat. Eines Tages taucht Kay mit ihrem Freund Harry (Rory Calhoun), einem gerissenen Spieler, auf Matts Farm auf. Harry schlägt Matt nieder und stiehlt dessen einziges Pferd. Auf der Suche nach ihm treiben Matt, Kay und Mark mit einem selbstgebauten Floß den reißenden Strom hinunter, immer bedroht von Banditen, Indianern und den tosenden Naturgewalten. Nachdem Mark Harry erschießt, als dieser seinen Vater töten will, wächst Matt zum Schluß Erlösung durch eine alles besiegende große Liebe zu.

Brillant inszeniert, gehörte Premingers Western-Melodram vor allem wegen der für ihre Zeit sensationellen Cinemascope-Landschaftsbilder und seines erotischen Sujets - eine schöne Blondine zwischen zwei harten Männern - zu den erfolgreichsten Filmen der fünfziger Jahre.

Hollywoods große Zeit war endgültig vorüber

Mit "Carmen Jones" (1954) und "Porgy und Bess" (1959) wandte Preminger sich dem schwarzen Musical zu. Sein Star Dorothy Dandridge war sowohl die Heldin seiner melodramatischen Ausformung von George Bizets Oper "Carmen" als auch von Gershwins Oper um den verkrüppelten Bettler Porgy (Sidney Poitier) und das leichte Mädchen Bess, deren früheren Geliebten er tötet, die aber schließlich den Verführungskünsten des eleganten Dealers "Sportin' Life" (Sammy Davis jr.) erliegt. Wie schon bei "Laura" übernahm Preminger übrigens auch bei "Porgy and Bess" die Regie von Mamoulian, der bei Samuel Goldwyn, dem Produzenten des Films, in Ungnade gefallen war.

Premingers kreativste Zeit waren die fünfziger Jahre, damals entstanden seine besten Filme: "Der Mann mit dem goldenen Arm" (1955), das erschütternde Porträt des rauschgiftsüchtigen Musikers Frankie Machine im Elendsviertel von Chicago, eine düstere Studie, vortrefflich inszeniert und mit hohem schauspielerischen Können von Frank Sinatra in der Titelrolle bewältigt; "Bonjour Tristesse" (1959), die Verfilmung von Françoise Sagans erfolgreichem "Skandal"-Roman, oder "Anatomie eines Mordes" (1959) mit James Stewart in der Hauptrolle.

Von Premingers Filmen aus den sechziger und siebziger Jahren sind "Der Kardinal" (1963) und "Unternehmen Rosebud" (1975) erwähnenswert. Hollywoods große Zeit war endgültig vorüber, und Otto Preminger, dessen beste Filme nie altern und uns auch Jahrzehnte später noch vom wirklich großen Kino erzählen, setzte sich zur Ruhe. Am 23. April 1986 ist er in New York an den Folgen eines Krebsleidens verstorben.

Foto: Otto Preminger (1906-1986): Sein Blick auf die amerikanische Gastheimat war der eines Fatalisten


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