© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/06 08. Dezember 2006

Dem Meister Ehre erweisen
Wirtschaftskriminalität: Die Volksrepublik China ist inzwischen der größte Marken- und Produktpirat der Welt
Albrecht Rothacher

Der Besitzer der AV Stumpfl GmbH, des Weltmarktführers transportabler Leinwände aus dem oberösterreichischen Wallern, staunte nicht schlecht, als er Post von der Grandview Crystal Screen Ltd. aus Shiquiao/Kwangtung erhielt. Darin wurde ihm freundlich der Vertrieb seiner nachgebauten Leinwände zum Exklusivvertrieb in Österreich angeboten. Sogar der eigene Firmenkatalog war von den Chinesen kopiert beigefügt worden. Und das ist kein Einzelfall.

China hat sich zum weltgrößten Hersteller von Produkt- und Markenpiraterie entwickelt. Es wird fast alles kopiert: Marlboro-Zigaretten, Adidas-Schuhe, Michelin-Reifen, Mercedes-Ersatzteile, Kitkat-Schokolade, Barbiepuppen, Rodenstock-Brillen, Computerprogramme, Arzneimittel, Spirituosen oder Batterien. Exotische Straßenmärkten, auf denen sich touristische Schnäppchenjäger an billigen Gucci-Taschen, Hollywood-DVDs oder Rolex-Uhren erfreuten, sind längst atypisch.

Gesetze zum Patent- und Markenrecht nicht umgesetzt

Heute erfolgt ein Gutteil des Vertriebs über das Internet. Die dort billig angebotenen Pillen renommierter Hersteller mögen Placebos sein oder gar Schlimmeres. Die preisgünstigen Autoersatzteile, obwohl scheinbar originalverpackt, sind aus unfallträchtigem, minderwertigem Material. Gemeinsam ist ihnen, daß sie illegal, aber straffrei zumeist in China hergestellt werden.

Der Transport aus China erfolgt so: Waren, Gebrauchsanweisungen und Verpackung werden getrennt nach Europa geschickt. Erst in Polen, Ungarn oder Malta wird in Garagenbetrieben alles so zusammengepackt, daß es vom "echten" Produkt kaum zu unterscheiden ist. Oft merkt der ahnungslose Kunde erst bei der Reparatur, daß das "günstige" Produkt ein Imitat und der "Garantieschein" wertlos ist.

Der Anteil von Imitaten am Welthandel wird auf sechs bis acht Prozent (300 Milliarden Euro) geschätzt. In China allerdings liegt ihr Marktanteil bei 85 bis 95 Prozent. Auf manchen chinesischen Märkten ist es schwierig, überhaupt authentische Produkte zu erspähen. Auf dem Weltmarkt für Arzneimittel wird der Anteil an Imitaten - nicht zu verwechseln mit "echten" generischen Medikamenten - auf zehn Prozent geschätzt, in einigen Entwicklungsländern auf 60 Prozent. Der deutsche Zoll beschlagnahmte 2003 Imitationen mit einem Warenwert von 180 Millionen Euro - ein Bruchteil des tatsächlichen Marktes. So schätzt die Deutsche Vereinigung zur Bekämpfung von Produktpiraterie den Verlust von Industriearbeitsplätzen in Deutschland auf 70.000.

In Ostasien hat das Kopieren aber Tradition. "Wer große Meister nachmacht, erweist ihnen Ehre", wird Konfuzius gern zitiert. Und eine Idee gilt nicht deshalb schon als schlecht, weil ein anderer sie vorher gehabt hat. Im übrigen spart man sich gerne die Entwicklungskosten, entbehrliche Patentgebühren und mühsame Lizenzverhandlungen. Die chinesische Führung sieht in der Produktpiraterie eine billige Quelle des Technologietransfers, für industrielle Arbeitsplätze, Profite für die Staatsindustrie sowie Steuer- und Bestechungsgelder aus der Privatwirtschaft. Wegen des Beitritts zur Welthandelsorganisation WTO im Jahr 2002 wurde Peking gezwungen, 30 Gesetze zum Patent-, Marken- und Vertragsrecht zu erlassen. Doch Peking zeigt keine Neigung zur Umsetzung. Vor einem chinesischen Gericht hat ein Ausländer, der gegen einen Produktpiraten klagt, kaum Chancen. Dort läuft das Verhandlungsspiel nach chinesischen "Regeln". Daher bleibt eigentlich nur, im außergerichtlichen Vergleich ein Lizenzabkommen abzuschließen. Dies mußte auch die eingangs erwähnte Firma Stumpfl tun.

Auf internationale Kritik reagiert die chinesische Führung hinhaltend. Man tue sein Bestes in der Umsetzung jener Rechtsprechung, doch müsse sie sich in der Provinz noch herumsprechen. Ab und zu werden die üblichen Verdächtigen abgestraft. So erhielt jüngst ein Übeltäter, der Viagra-Imitate im Fälscherparadies Fujang (Anhui-Provinz) unter dem Namen "Großer dicker Bruder" als Placebos hergestellt und vertrieben hatte, acht Jahre Gefängnis. Mutmaßlich hatte sich die örtliche Parteiführung auch betrogen gefühlt, sonst wäre es bei einer Geldbuße geblieben.

Über Toyota oder "Lucky Goldstar" lacht keiner mehr

Der erzwungene Technologietransfer hat in China Methode. Wer dort verkaufen will, muß Rezepturen, Konstruktionspläne und Patente gegenüber den Behörden offenlegen, sonst erhält er keine Lizenz. Diese Informationen finden sehr schnell Abnehmer bei interessierten einheimischen Konzernen. Das Ergebnis läßt selten lange auf sich warten. Als die Ausschreibungen für Großprojekte der Olympiade 2008 in Peking bei internationalen Konsortien die Teilnahme von einheimischen Baubüros vorschrieben, übernahmen diese gerne die eingereichten Blaupausen und Projektdesigns - und lassen sie jetzt von chinesischen Konzernen in Eigenregie bauen.

Bei Großaufträgen erzwingt die Pekinger Führung weiter die Fertigung im Lande. Der Zweck ist durchsichtig genug. Für die Bestellung von 150 Airbus-Flugzeugen mußten sich die Europäer verpflichten, ein Montagewerk für den A 320 in Tianjin zu errichten. Für den Verkauf von 500 Güterzugloks an China mußte der französische Hersteller Alstom die volle Gemeinschaftsfertigung mit Datong Electric Locomotive akzeptieren. Die deutsche Magnetschwebebahn Transrapid (JF 9/06), die derzeit vom Flughafen Pudong zur Schanghaier Longjang Road - trotz einer zumeist aus Deutschland stammenden hochsubventionierten Milliardeninvestition - eher unausgelastet läuft, soll mit chinesischen Garnituren bis 2010 in die Nachbarstadt Hangzou verlängert werden. Sie sollte als Symbol der blauäugigen Schröderschen "Chinapolitik" Menetekel genug sein.

Gelegentlich gibt es Notbehelfe gegen den Technologieklau. So läßt die deutsche Firma MTU, die in China Flugzeugmotoren wartet, die modernsten ausfliegen, um zu verhindern, daß die Baupläne kopiert werden.

Man mag über das Klonen ganzer Autotypen und ihre Zurschaustellung bei Messen angesichts ihrer mangelhaften Sicherheits- und Verarbeitungsqualitäten lachen. Wer kauft schon "Great Wall Motor"-Autos? Vor dreißig Jahren amüsierten sich Europäer und Amerikaner über japanische und später südkoreanische Imitate. Heute lacht über Toyota oder LG ("Lucky Goldstar") niemand mehr.

Foto: Geschredderte Schuhe: Illegal, aber straffrei in China hergestellt


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