© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/06 08. Dezember 2006

Dandytum - eine konservative Lebensform
Das Kultbuch von Barbey d'Aurevilly aus dem 19. Jahrhundert liegt erstmals in vollständiger Übersetzung vor
Georg Alois Oblinger

Gerd-Klaus Kaltenbrunner bezeichnete den Dandy als "epochenspezifisches Phänomen" des 19. Jahrhunderts. Damit unterschied er ihn von universalen Typen wie dem Held, dem Weisen und dem Heiligen. Hinter der Maske des Dandy versuchte Kaltenbrunner in seinem Essay "Reste von Heldentum, Weisheit und Heiligkeit" aufzuspüren. Der Dandy ist eine typische Erscheinung einer Übergangszeit. Als Ästhet widersetzt er sich dem anbrechenden Zeitalter und protestiert durch seinen zur Schau getragenen Habitus gegen dessen Banalität und Vulgarität. Schon 1925 kennzeichnete Otto Mann in seiner Studie "Der moderne Dandy" das Dandytum als "konservative Lebensform".

Man muß den Dandy unterscheiden vom Modegecken und vom Snob, welche lediglich Degenerationen des Dandy sind. Im Sinne eines "l' art pour l' art" ist der Dandy ein Künstler, der nur für ein einziges Kunstwerk lebt, nämlich der Darstellung seiner selbst. Gleichfalls strebt er aber auch nach Perfektion und versucht seine Kleidung, seine Reden und seine Manieren immer mehr zu vervollkommnen. Dadurch hebt er sich von der Gesellschaft ab und läßt das vergangene Zeitalter, dem er nachtrauert, in seiner Person fortleben. Karlheinz Weißmann sagt, der Dandy "lebe in einer Gesellschaft, die er zu beherrschen sucht und deren Mediokrität er doch mißbilligt."

Die meisten Dandys - wie Lord Byron, François René de Chateaubriand, Charles Baudelaire oder Benjamin Disraeli - waren Literaten oder gar Politiker. Als Urbild des Dandytums gilt jedoch Georges Brian Brummell (1778-1840), genannt "Beau Brummell", der dieses Ideal in Reinkultur verkörperte. "Er gefiel durch seine Person, wie andere durch Werke gefallen." Mit 21 Jahren machte der aus einfachem Beamtenhaushalt stammende Brummell eine Erbschaft, die es ihm ermöglichte, einen aufwendigen Lebensstil zu führen und sich fortan allein der Selbstinszenierung zu widmen. "Läßt man den Dandy fort, was bleibt von Brummell?" In London war er nicht nur wegen seiner bis ins letzte Detail perfektionierten Kleidung, sondern auch aufgrund seiner geistreichen Konversation sehr bald der Mittelpunkt einer jeglichen Gesellschaft. Fast zwei Jahrzehnte lang galt er als "first gentleman of Europe".

Zahlreiche Biographien Brummells wurden geschrieben - zwei schon sehr bald nach seinem Tod. Die im Frühjahr 1844 veröffentlichte Biographie des Engländers William Jesse ist eher eine Anekdotensammlung, jene anderthalb Jahre später erschienene aus der Feder des Franzosen Jules Barbey d' Aurevilly (1808-1889) spürt dem Wesen des Dandytums nach. Die Kleinstauflage von nur dreißig Exemplaren erhält überraschend mehrere positive Rezensionen, so daß schon bald weitere Auflagen gedruckt werden. 1908 erscheint das Buch erstmals in deutscher Übersetzung mit einem Vorwort von Richard von Schaukal. Allerdings sind hier einige zeitbedingte Anspielungen weggelassen.

Jetzt ist das seit langem antiquarisch sehr gefragte Buch in vollständiger Neuübersetzung wiederaufgelegt worden. Wohl in Vorbereitung auf dessen sich nähernden zweihundertsten Geburtstag am 2. November 2008 gibt Gernot Krämer Einzelbände ausgewählter Essays von Barbey d'Aurevilly heraus. Nach einer Polemik gegen Goethe (JF 39/06) ist dies nun der zweite Band; weitere sollen folgen. Diese Ausgabe beinhaltet außerdem - erstmals auf deutsch - einen Essay über Antonin Nompar de Caumont, Duc de Lauzun, mit dem Titel "Ein Dandy, ehe es Dandys gab", den Barbey seinem Essay über Brummell später anfügte.

Barbey wurde selbst wegen seines exzentrischen Auftretens meist für einen Dandy gehalten, obwohl er in seinem Essay diese Klassifizierung zurückweist. Im Anhang beigefügte Dokumente seiner Zeitgenossen - unter anderem von seinem Schüler Léon Bloy (JF 34/06) - lassen vor dem geistigen Auge des Lesers allerdings eine sehr pittoreske Erscheinung entstehen. Im Nachwort zeigt André Maurois auf, daß gerade Barbeys extravagantes Auftreten ihm lange Zeit hinderlich war, von seinen Kritikern als großer Schriftsteller anerkannt zu werden.

Das Kultbuch des Dandytums wurde wiederaufgelegt. Große Freude dürfte nicht nur bei Ästheten und Literaten aufkommen, sondern auch bei all jenen, die versuchen, in unserer Gesellschaft zu leben und sich doch von ihr zu distanzieren. Ernst Jünger, der von nicht wenigen ebenfalls für einen Dandy gehalten wird, schrieb in sein Tagebuch: "Kälte ist zu empfehlen, wo es anrüchig wird. Es geht sich leichter über gefrorenen Schlamm."

Foto: Der Dandy im Mittelpunkt einer jeglichen Gesellschaft: "Es geht sich leichter über gefrorenen Schlamm"

Jules Barbey d' Aurevilly: Über das Dandytum, Matthes & Seitz, Berlin 2006, 190 Seiten, gebunden mit Lesebändchen, 19,80 Euro


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