© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/06 15. Dezember 2006

BRIEF AUS BRÜSSEL
Von wegen "kein Automatismus"
Andreas Mölzer

Die Europäische Union scheint aus der überhasteten Erweiterungsrunde 2004 nichts gelernt zu haben. Damals wurden gleich zehn Staaten aufgenommen, obwohl bei manchen bezüglich der EU-Reife mehr als berechtigte Zweifel bestanden. Und nun strebt Brüssel mit Ende des Jahres 2007 die Ausweitung des Schengener Abkommens auf die Neumitglieder an, was den Wegfall der Kontrollen an den Grenzen zu diesen zur Folge hätte.

Ob aber die zehn "Schengen-reif" sind, spielt eine bestenfalls untergeordnete Rolle. Schließlich müsse das Ziel sein - so verlautbarte es die finnische Ratspräsidentschaft -, die Kontrollen an den Grenzen zwischen den alten und den neuen Mitgliedstaaten "so rasch wie möglich abzubauen". Für Erwägungen, die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten, findet sich bei dieser Eile kein Platz. Zwar haben die neuen EU-Staaten bei der Sicherung der EU-Außengrenzen bereits bedeutende Fortschritte erzielt, aber dennoch bleibt noch ein großer Verbesserungsbedarf bestehen.

So wurden beispielsweise laut dem österreichischen Verteidigungsministerium im laufenden Jahr per Stichtag 18. September im Rahmen des Assistenzeinsatzes des Bundesheeres an den Grenzen zu Ungarn und zur Slowakei 1.640 illegale Grenzgänger auf österreichischem Staatsgebiet aufgegriffen und weitere 450 am illegalen Grenzübertritt gehindert. Und wie vielen Illegalen die Einreise in den Schengen-Raum gelungen ist, darüber kann allenfalls spekuliert werden.

Wenn nun - wie die EU-Innenminister beschlossen - nach einer halbjährigen Probephase über den endgültigen Wegfall der Grenzkontrollen entschieden werden soll, dann handelt es dabei um eine Beruhigungspille für die zu Recht besorgten Bürger. Denn wenn die Einhaltung der hohen Schengen-Standards nicht gewährleistet wird, dann droht vor allen voran den wohlhabenden Mitgliedern wie Deutschland oder Österreich eine neue Welle an illegalen Zuwanderern sowie ein Kriminalitätsimport ungeahnten Ausmaßes.

Ebenso wie die Schengen-Reife aller neuen EU-Mitglieder binnen Jahresfrist darf die Ankündigung bezweifelt werden, daß es bei der Ausweitung des Schengener Abkommens keinen Automatismus gäbe. Schließlich veranschaulicht eine ganze Reihe von Beispielen wie jüngst die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, daß die EU-Polit-Nomenklatura, wenn sie einen Weg erst einmal eingeschlagen hat, diesen auch um jeden Preis zu Ende geht. Und dafür, daß es bei der Schengen-Erweiterung keinen Weg zurück mehr geben wird, werden auch die neuen EU-Länder sorgen, die bereits jetzt Druck auf die alten ausüben.

Natürlich dürfen die neuen EU-Mitgliedstaaten nicht grundsätzlich von der Teilnahme am Schengener Abkommen ausgeschlossen werden. Aber ein Beitritt darf erst dann erfolgen - egal, wie viele Jahre das dauern kann -, wenn sie auch wirklich in der Lage sind, die EU-Außengrenzen zu sichern. Bereits heute ist Brüssel mit der Sicherung der Außengrenzen heillos überfordert, wie der Massenansturm illegaler Zuwanderer aus Afrika auf die Kanaren oder Lampedusa zeigt. In dieser Lage eine neue Flanke an den östlichen Grenzen zu eröffnen, wäre daher nichts anderes als eine Einladung an die Dritte Welt, noch stärker als bisher nach Europa zu strömen.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit" und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.


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