© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/06 15. Dezember 2006

Zeitschriftenkritik: Für bedrohte Völker
Im Stich gelassen
Werner Olles

Das Informationsblatt für Mitglieder, Freunde und Förderer der Menschenrechtsorganisation Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) gewährt auch in seiner aktuellen Ausgabe wieder Einblick in die vielfältigen Initiativen, Interventionen und Kampagnen für schutzlose und bedrohte Minderheiten in allen Teilen der Welt. Dabei arbeitet die GfbV direkt zusammen mit den Betroffenen, Überlebenden und Opferverbänden, ob es sich nun um Exil-Institutionen der Tibeter, Flüchtlinge aus dem westsudanesischen Darfur, tschetschenische Menschenrechtler, Sprecher indianischer Bewegungen oder Repräsentanten der verfolgten christlichen Assyro-Chaldäer im Irak handelt.

Tatsächlich hört weltweit die Verfolgung von ethnischen und religiösen Minderheiten nicht auf. So werden im Regenwald von Laos die Hmong wie Tiere von laotischen und vietnamesischen Militärs gejagt, und auch im Nachbarland Burma leiden Angehörige ethnischer Minderheiten unter schweren Menschenrechtsverletzungen. Über 230 Dörfer wurden hier zerstört oder ihre Bewohner zwangsweise umgesiedelt. Erinnert wird auch an die Verfolgung der Tibeter und Uiguren, denen die chinesische Zentralregierung in Peking jegliche regionale Selbstverwaltung verweigert und zudem hemmungslos ihre Bodenschätze plündert.

Im Stich gelassen von der Weltgemeinschaft fühlen sich auch die religiösen Minderheiten in der Türkei. Immer wieder sind dort assyrisch-aramäische Christen brutalen Angriffen ausgesetzt, die Rückgabe widerrechtlich konfiszierter Grundstücke der griechisch-orthodoxen Kirche ist bis heute nicht erfolgt, und die Wiedereröffnung ihres theologischen Seminars wurde verboten. Von Toleranz gegenüber religiösen Minderheiten kann in der Türkei also keine Rede sein. Schlimmer noch: Assyrisch-aramäische Rücksiedler werden in Tur Abdin von fanatischen Moslems und türkischen Nationalisten attackiert. Bereits während des Ersten Weltkriegs wurden die christlichen Assyrer in der Türkei vernichtet und aus ihren historischen Siedlungsgebieten vertrieben. Anders als der gleichzeitig an den armenischen Christen verübte Völkermord ist der Holocaust an den Assyrern/Aramäern jedoch weitgehend in Vergessenheit geraten.

Als "Akt der Verachtung" der türkischen Regierung gegenüber ihrem historischen Erbe bezeichnen Kurden, Armenier und Assyrer/Aramäer den Bau des Ilisu-Staudamms am Tigris. Denn die vier Jahrtausende alte Stadt Hasankeyf mit ihren archäologisch bedeutenden Stätten und die Dörfer der Umgebung sollen in dem 300 Quadratkilometer großen Stausee untergehen. Mehr als 55.000 Menschen droht die gewaltsame Vertreibung. Die GfbV wendet sich daher an die EU und die deutsche Bundesregierung, damit sie die schlimme Situation der 15 bis 20 Millionen Kurden in der Türkei und der assyrisch-aramäischen Bevölkerung bei ihren Verhandlungen zum EU-Beitritt der Türkei in Betracht ziehen. Bislang hat die EU für die großen Probleme der ethnisch-religiösen Minderheiten in der Türkei leider nur wenig Interesse gezeigt.

Anschrift: GfbV. Postfach 2024, 37010 Göttingen. Internet: www.gfbv.de 


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