© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/06 01/07 22./29. Dezember 2006

Kein Techtelmechtel mit Iran und Syrien
USA I: Die Diskussion über den Irak-Bericht der Baker-Kommission hält an / Was Präsident Bush vorhat, ist weiter unklar
Elliot Neaman

Nichts lieben die Amerikaner mehr als ein großes Medienereignis. Unter dem beseelten Titel ""The Iraq Study Group Report - The Way Forward. A New Approach" wurde am 6. Dezember (JF 50/06) der langerwartete Irak-Lagebericht von James Baker, Lee Hamilton und anderen weisen Männern und Frauen vorgestellt.

Sei es eine Modediät, ein Selbsthilfe-Ratgeber oder der neueste Geheimtip für Anleger - ein Bestseller muß mit dem Versprechen rascher Ergebnisse durch eine brandneue Methode aufwarten. Dieser enttäuschte keineswegs, zumindest was den Medienrummel rund um seine Veröffentlichung betraf. Dank der Öffentlichkeitsarbeit des PR-Riesen Edelman landete das Buch auf Anhieb auf Platz zwei der Verkaufscharts des Internethändlers Amazon, ein erstaunliches Ergebnis für eine trockene Politikempfehlung mit sehr kurzer Halbwertszeit.

Aller Begeisterung zum Trotz ist es diesem überparteilichen Gremium namhafter Persönlichkeiten - darunter ein ehemaliger Richter am Supreme Court und ein Ex-Außenminister - nicht gelungen, irgendwelche Vorschläge zur Beseitigung des Chaos im Irak zu formulieren, die Kritiker des Krieges nicht schon seit mindestens zwei Jahren vorbringen. Nach schweren Wehen hat der Elefant eine Maus geboren. Nicht nur sind die Ideen der Baker-Kommission nicht neu, sie bieten auch keine sonderlich guten Aussichten, die Lage im Irak zu diesem späten Zeitpunkt verbessern zu können.

So wird der Einsatz von mehr Beratern und mehr Bodentruppen gefordert - eine großartige Idee, wäre sie umgesetzt worden, bevor ein Naturzustand im Hobbes'schen Sinne, ein Krieg aller gegen alle, zu weit schlimmerer Anarchie führte, als sie in jedem Bürgerkrieg herrscht: Im Bürgerkrieg steht wenigstens fest, wer gegen wen kämpft. Längst werden die US-Truppen bloß als eine weitere Miliz angesehen, ein Machtfaktor unter vielen und keineswegs der wichtigste in einem Kampf bis zum letzten um die Frage, wer das Vermächtnis eines gescheiterten Nationalstaats antritt.

Frieden in Palästina beendet nicht die Gewalt im Irak

Der Gedanke, die irakischen Polizei- und Sicherheitskräfte auszubauen, damit die Regierung Ordnung herstellen kann, kommt ebenfalls viel zu spät. Die irakische Polizei ist wenig mehr als eine schiitische Armee, der sich Sunniten kaum unterzuordnen gewillt sind.

Vor allem bei europäischen Linken steht der Plan hoch im Kurs, Iran und Syrien einzubeziehen. Trotz seiner offensichtlichen Attraktivität für alle, die die ganze Situation leid sind, ist er so kurzsichtig wie kontraproduktiv. Welches Interesse Syrien und Iran daran haben sollten, den USA aus dem irakischen Schlamassel herauszuhelfen, ist eine Frage, auf die höchstens unverbesserliche Friedensbewegte eine Antwort zu haben glauben. Gewiß könnten beide Staaten aus einer triumphalen Rückkehr an den diplomatischen Tisch einiges Prestige schöpfen. Für die USA wäre viel wohlfeile Rhetorik drin, während Iran weiterhin sein Atomwaffenarsenal aufbauen und Syrien sein Zerstörungswerk im Libanon und seinen Kampf gegen Israel fortsetzen könnte.

Zu guter Letzt wurde auch noch die olle Kamelle aus der Mottenkiste gekramt, man müsse den israelisch-palästinensischen Konflikt lösen, um das größere Problem des Mittleren Ostens anzupacken. James Baker hielt Israel schon immer für einen Risikofaktor in der US-Außenpolitik und konnte auf breite Unterstützung für seine pro-palästinensische Haltung zählen. Die Vorstellung, ein Friedensschluß zwischen Israel und den Palästinensern würde irgendwie das Irak-Problem lösen, ist indes eine unlogische Schlußfolgerung. Selbst wenn Israel morgen die Golan-Höhen zurückgäbe und einen Friedensvertrag mit Hamas schlösse (was selbstredend ausgeschlossen ist) - wie kommt Baker auf die Idee, daß irakische Schiiten und Sunniten daraufhin ihr gegenseitiges Gemetzel beenden würden?

Angeblich hat die Baker-Kommission die Rückkehr des "Realismus" in die US-Außenpolitik eingeläutet. Die Geschichte wird umgeschrieben, so daß George Bushs Entscheidung von 1991, Bagdad nicht zu besetzen, plötzlich als Lehrstück politischer Vernunft aufscheint. Der damalige Außenminister Baker behauptet nun, seinerzeit "gewußt" zu haben, daß Saddam Husseins Sturz in der Folge von "Desert Storm" den USA einen Bürgerkrieg, eine lange und schwere Besatzungszeit und die Zerlegung des Landes beschert hätte.

Dabei lag der eigentliche Grund für diese Entscheidung darin, daß der Oberbefehlshaber General Schwarzkopf gegen eine Besatzung war, und zwar hauptsächlich aus taktischen, nicht etwa aus politischen Gründen. Für alle, die es vergessen haben: Die USA ermunterten die Schiiten und die Kurden zum Aufstand in der Hoffnung auf einen Bürgerkrieg, der Saddam Hussein beseitigen würde. Sowohl der Irak wie der Iran waren von ihrem langen Krieg gegeneinander geschwächt, es gab keine sektiererischen Bürgerwehren, dafür angereichertes Uran und biologische wie chemische Massenvernichtungswaffen, die Inspekteure der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zwischen 1991 und 1998 entdeckten und entfernen ließen.

Was machten die USA? Als es tatsächlich zum Aufstand kam, saßen die mutigen und weisen Staatsmänner und Generale auf ihrem kollektiven Hintern und ließen zu, daß Saddam die Revolte gnadenlos niederschlug. Wenn so der "Realismus" aussieht, den wir nun bejubeln sollen, kann sich die Welt auf mehr statt weniger Gewalt und Chaos freuen. Die Frage, die momentan alle Kommentatoren beschäftigt, lautet, wie der derzeitige Amtsinhaber auf den Bericht reagieren wird.

Die Vietnam-Analogie hängt bedeutungsschwer in der Luft. Anfang 1968, als US-Präsident Lyndon B. Johnson nach der Tet-Offensive so tief im Schlamassel steckte, daß er keinen Ausweg sah, entließ er seinen Verteidigungsminister Robert McNamara und setzte mit Clark Clifford einen geschmeidigen Washington-Insider an seine Stelle. Außerdem berief er ein Gremium weiser Männer, darunter Mitglieder früherer Regierungen, um einen Politikwechsel einzuleiten. Schließlich wurde ein Plan zum Truppenabzug verabschiedet, den Johnsons Nachfolger Richard Nixon aber erst vier Jahre später umsetzen konnte, eine Schadensbegrenzungsmaßnahme, die euphemistisch als "Frieden mit Ehre" verkauft wurde.

Was Bush vorhat, ist unklar. Von dem Phantasieszenario eines versöhnlichen Techtelmechtels mit Iran und Syrien hat er sich klugerweise bereits distanziert. Wie er aber die Truppenstärke festzulegen und Zeitpläne für den Rückzug zu bestimmen gedenkt, ist bislang offen.

Bush gefällt sich in der öffentlichen Zurschaustellung von Konsequenz und Entschlossenheit, während er hinter den Kulissen mit weit größerer Flexibilität und Kreativität agiert. Wie Justizminister John Mitchell zu Beginn der Nixon-Präsidentschaft sagte: "Achten Sie darauf, was wir tun, nicht, was wir sagen." Was manche Kritiker als Bushs Dickköpfigkeit und mangelnde Verantwortungsbereitschaft bemängeln, ist in Wirklichkeit ein schlau inszeniertes politisches Theater. Als Rumsfeld von der Bühne abtrat, tat Bush gegenüber den Wählern so, als hätten sie, nicht er den Verantwortlichen für die Fehler im Irak abgestraft.

Keine realistischen Zeitpläne für den Irak-Rückzug

Was immer Bush tun wird, er wird den Anschein geben, zu keinem Zeitpunkt die Kontrolle verloren zu haben. Ihm steht eine sehr kurze Zeitspanne von allenfalls sechs Monaten zur Verfügung, um eines der schlimmsten außenpolitischen Vabanquespiele der amerikanischen Geschichte zu einem glücklichen Ausgang zu bringen.

Es heißt, Bush habe sich in Biographien von Winston Churchill und Harry S. Truman vertieft - zwei Regierungsoberhäupter, die am Ende ihrer Amtszeit arg in Ungnade gefallen waren. Er weiß, daß Historiker Präsidenten, Premierminister und Generale ganz anders beurteilen, als es ihre Zeitgenossen taten. Nun, da er wenig Aussicht hat, die Gunst seiner Zeitgenossen zu gewinnen, arbeitet er an dem Bild, das die Geschichtsschreibung dereinst von ihm überliefern soll.

 

Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt Neuere europäische Geschichte an der University of San Francisco. In der JF 45/06 schrieb er über die US- Kongreßwahlen.

"The Iraq Study Group Report" im Internet: www.usip.org/isg/iraq_study_group_report/report/1206/index.html 


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