© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/06 01/07 22./29. Dezember 2006

Gestohlenes wird zu Privateigentum
Polen: Die Rückführungsverhandlungen um Kulturgüter zwischen Berlin und Warschau stagnieren / Schwarzmarkt wächst
Paul Leonhard

Verhandelt wird seit Monaten, streng geheim. Es geht um wertvolle Grafiken und mittelalterliche Schriften und viel Geld. Beinahe zeitgleich wurden die einen den Städtischen Sammlungen der Stadt Görlitz und die anderen dem Evangelischen Kirchenkreisverband Schlesische Lausitz angeboten.

Es handelt sich um jene deutschen Kunstgegenstände, die nach 1945 von polnischen Privatpersonen beiseite gebracht worden waren. Obwohl Deutschland Anspruch auf die Rückführung aller während des Krieges in die Ostgebiete ausgelagerten Kulturgüter erhebt, soll nun der polnische Staat einschreiten und diese Kulturgüter beschlagnahmen, um sie zu schützen. Als Grundlage könnte ein polnisches Dekret von 1946 dienen. Dieses erklärt all jene Kulturgüter, die ausgelagert wurden, als "verlassenes deutsches Eigentum" zu polnischem Staatsbesitz.

Zwar sieht Artikel 294 des polnischen Strafrechts vor, daß Diebe von Kulturgütern mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden. Aber laut einer anderen Verwaltungsvorschrift gehen diese Gegenstände nach 60 Jahren in den Besitz ihrer Verwahrer über. Wer in den Nachkriegswirren deutsche Herrenhäuser ausgeräumt oder Kirchenschätze geplündert hat, ist seit 2005 nach polnischem Recht "Eigentümer".

Deutschland hält den Eigentumsanspruch aufrecht

Deswegen tauchen nun zunehmend Kunstgegenstände auf dem polnischen Schwarzmarkt, aber auch auf Auktionen auf, die sich auf den Kriegsverlustlisten deutscher Museen, Sammlungen und Bibliotheken befinden. Allerdings sind vielerorts die Vorkriegsbestände schlecht dokumentiert, etwa die Bibliotheksbestände der Universität Greifswald. In Schlesien war dagegen die Kapelle des Schlosses Kuhna (Kunów) ein zentraler Auslagerungsort. Hierher lagerten die Görlitzer Kunstsammlungen ab 1943 eigene oder in ihre Obhut gegebene Kunstschätze aus, darunter Sammlungen des Grafen von Ingenheim.

Nur weniges tauchte wieder auf. Das "Bildnis eines venezianischen Dogen" von Domenico Tintoretto wurde zufällig im Nationalmuseum Krakau entdeckt. Dort lokalisierte man auch das "Bildnis eines jungen Medici" von Agnolo Bronzino. Achtzig Prozent ihrer Vorkriegsbestände vermissen die Städtischen Sammlungen Görlitz. Aber auch dem schlesischen Adel und den Pfarrern blieb vor der Flucht wenig Zeit, um zu dokumentieren. Und niemand weiß, was 1945 tatsächlich vernichtet oder was von sowjetischen oder polnischen Trophäenkommissionen geborgen wurde und heute in russischen oder polnischen Depots lagert. Der Zugang dazu wird deutschen Kunsthistorikern in der Regel noch heute verweigert.

Den einst in Görlitzer Besitz befindlichen slawischen Silberschatz hat der Görlitzer Museumsleiter Jasper von Richthofen zufällig im Warschauer Nationalmuseum entdeckt. Fündig wurden die Museumsmitarbeiter aber auch in Breslau, Lauban (Lubań) und Krakau. Allerdings bereiten die in staatlicher polnischer Verwaltung befindlichen Kunstschätze den deutschen Kunstwissenschaftlern die wenigsten Sorgen. Man wisse, wo sie sich befinden, und halte den Eigentumsanspruch aufrecht, sagt von Richthofen.

Seit das polnische Recht die Besitzer offiziell zu Eigentümern des Gestohlenen erklärt hat, ist das letzte Fünkchen Unrechtsbewußtsein verschwunden. Die Gegenstände werden rücksichtslos zu Geld gemacht. Die deutschen Eigentümer müssen sich schon glücklich schätzen, wenn verkaufswillige Polen ihnen das Gestohlene als erste anbieten. Offiziell vertritt die Bundesregierung aber die Rechtsauffassung, daß deutsches Eigentum nicht zurückgekauft werden kann.

Andererseits sind die Verhandlungen über die Rückgabe kriegsbedingt verlagerter deutscher Kulturgüter mit Polen seit Mitte der neunziger Jahre festgefahren. Schon am Begriff "Beutekunst" scheiden sich die Geister. Polen beharrt auf dem "Territorialprinzip", wonach alle in Schlesien entstandenen Kulturgüter an den Ort ihres Ursprungs zurückgeführt werden sollen. Außerdem macht Warschau trotz des Reparationsverzichts von 1953 immer wieder Kompensationswünsche für 1,5 Millionen Kunstgegenstände und 25 Millionen Bücher gegenüber der Bundesregierung geltend.

Deutschland hält den Eigentumsanspruch aufrecht

Zwar heißt es im Nachbarschaftsvertrag von 1991, man sei bestrebt, "die Probleme im Zusammenhang mit Kulturgütern und Archivalien, beginnend mit Einzelfällen, zu lösen" - umgesetzt wurde davon nichts. Weder sind die über als 700.000 Bände der Staatsbibliothek Berlin - sie befinden sich in der Jagiellonen-Bibliothek Krakau - zurückgekehrt noch die Deutsche Luftfahrtsammlung. Seit sechs Jahren führt der Diplomat Tono Eitel als Sonderbotschafter die Gespräche mit Polen. Trotz vieler Verhandlungsrunden mußte das Auswärtige Amt in seinem Bericht 2006 einräumen, daß "die Rückführungsverhandlungen mit Polen stagnieren". Bestärkt durch den Regierungswechsel in Polen 2005 "tragen polnische Kreise das bisher innenpolitisch tabuisierte deutsch-polnische Rückführungsthema in die Öffentlichkeit und instrumentalisieren es gegen Deutschland".

Letzte und einzige symbolische Rückgabe durch Polen seit 1998 war eine Lutherbibel im Jahr 2000. Anfang Januar wollen nun Vertreter der Stadt Görlitz erneut einen Vorstoß wagen. Gemeinsam mit Eitel werden sie beraten, wie die in polnischem Privatbesitz befindlichen Kunstgegenstände zurückgeholt werden können. Die Minimalforderung ist, den Weiterverkauf zu verhindern, damit die Schätze "für die europäische Gesellschaft erhalten bleiben".

Foto: Gebäude der Städtischen Kunstsammlungen von Görlitz: Etwa achtzig Prozent der Vorkriegsbestände werden bis heute vermißt


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