© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/06 01/07 22./29. Dezember 2006

Vom Papst geschenkt
Politische Zeichenlehre XII: Der Reichsapfel
Karlheinz Weissmann

Anfang des Monats erklärte der italienische Kulturminister Francesco Rutelli während eines Besuchs in New York, daß Archäologen bei Grabungen auf dem Palatin in der Nähe des Kolosseums die Insignien des römischen Kaisers Maxentius gefunden hätten. Unter den Stücken aus dem Anfang des 4. Jahrhunderts waren drei Speere und vier Wurf-lanzen, deren Erhaltungszustand besonders überraschte, dazu Reste von dreieckigen oder rechteckigen Fahnen, ein sorgfältig gearbeitetes Szepter sowie eine metallene Kugel und mehrere kristallene Scheiben. Dieser "Globus" und die "Sphären" brachten im Ornat der römischen Kaiser den Anspruch auf Weltherrschaft zum Ausdruck. Sie fanden sich häufig auf Münzbildern und anderen repräsentativen Darstellungen, aber bisher gab es keinen Beleg für ihr tatsächliches Vorhandensein. Das hat sich mit dem römischen Fund geändert.

Daß die Erde eine Kugelgestalt habe, behauptete schon der griechische Philosoph Parmenides, und Aristoteles schloß sich seiner Auffassung an. Vor allem aber galt der Antike der Kosmos als kugelförmig, und so wurde die Kugel zur "Hieroglyphe" (Percy Ernst Schramm) des Weltganzen. Die Idee von der Bedeutung des Kreises oder der Kugel ist aber wesentlich älter als die europäische Zivilisation und über den europäischen Raum hinaus verbreitet. Seit der Frühzeit des Menschen hat sich in vielen Weltgegenden die Vorstellung ausgebildet, daß der Kreis oder die Kugel das "Ganze" und das "Vollkommene" repräsentiere, eine entsprechende Symbolik findet sich in Religionen und Weisheitslehren, in den Überresten des bronzezeitlichen Kultes ebenso wie im tibetanischen Mandala, in der Alchemie ebenso wie im Glauben der Sioux. Vieles spricht dafür, daß man es mit einem selbstverständlichen Symbol, einem Archetypus im Sinne C. G. Jungs, zu tun hat.

Als Herrschaftszeichen wurden Kreis und Kugel allerdings erst in Rom entdeckt, und nicht nur Maxentius verwendete Globus und sphaira, sondern auch sein Mitkaiser und Gegner Konstantin, von dem er schließlich 312 in der berühmten Schlacht an der Milvischen Brücke besiegt wurde. Wahrscheinlich haben sich die Insignien des Maxentius nur erhalten, weil seine Anhänger sie nach dem Untergang ihres Führers verbargen, um sie nicht Konstantin in die Hände fallen zu lassen. Der stieg infolge seines Triumphs zum ersten christlichen Kaiser auf und brach mit bestimmten Symboltraditionen der heidnischen Zeit. So gab er die Führung der römischen Adlerfeldzeichen auf, die durch das Labarum - eine Querstabstandarte mit dem Chi-Rho, den griechischen Anfangsbuchstaben für "Christos" - ersetzt wurden. Aber an der Kugel hielt er fest, nur daß er sie mit einem Kreuz als Symbol des neuen Glaubens versehen ließ.

Es lag in der Logik der neuen Auffassung vom Kaiseramt, wenn auch Christus mit einer solchen Kugel dargestellt wurde, um seine Würde als "Kosmokrator", als Weltenherrscher, zu versinnbildlichen. In einer byzantinischen Chronik hieß es: "Denn der Kaiser herrscht über die Welt kraft seines Glaubens an das Kreuz." Die Macht des Kaisers war nur eine abgeleitete, spiegelte die Macht Gottes über seine Schöpfung: ein Zusammenhang, der im Westen nach dem Zusammenbruch des Imperiums kaum noch verstanden wurde.

Wenn die fränkischen und später die römisch-deutschen Herrscher sich mit den Abzeichen der antiken Cäsaren darstellen ließen, dann gehörte solche Antikisierung nur zu den Chiffren des Herrscherbildes, einen Globus oder eine sphaira besaßen sie sowenig wie einen Lorbeerkranz, mit dem man sie oft abgebildet fand. Die mittelalterlichen Kaiser kopierten nur ein Muster, aber der Sinn der alten Zeichen und Titel blieb häufig unklar, und der Bedeutungsgehalt des Kugelsymbols ging fast verloren. Das läßt schon die Bezeichnung "Reichsapfel" erkennen, die eher eine Verlegenheitslösung war und jedenfalls mit dem ursprünglich Gemeinten nichts mehr zu tun hatte.

Den ersten Reichsapfel als dinghaftes Herrschaftszeichen erhielt wohl 1012 Heinrich II. als Geschenk des Papstes Benedikt VIII. Als der letzte Ottone zum Kaiser gekrönt wurde, ermahnte ihn der Papst, so zu herrschen, daß er des Schutzes durch das Kreuz würdig werde. Man kann insofern auch eine Art symbolischer List in dem Geschenk der Insignie sehen, das zwar aus der Kugel als Herrschaftszeichen bestand, über dem sich aber das Kreuz als Sinnbild des Glaubens, aber auch der Kirche erhob.

Die JF-Reihe "Politische Zeichenlehre" des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.


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