© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/06 01/07 22./29. Dezember 2006

Wertvolle Dokumentation mit fragwürdigen Gewichtungen
Ein ARD-Zweiteiler über die Rolle des sowjetischen Geheimdienstes KGB in der DDR gibt der Opferperspektive nicht genügend Raum
Dirk Jungnickel

Der Fernsehkonsument hat sich längst daran gewöhnt, daß die Öffentlich-Rechtlichen Wesentliches und Niveauvolles auf Mitternachtssendetermine verbannen. Vermutlich rechnen einschaltquotenorientierte Fernsehmacher damit, der interessierte Zuschauer würde ohnehin sein Aufzeichnungsgerät aktivieren.

Die zweiteilige Dokumentation von Matthias Unterburg kam vielversprechend daher, gleichwohl ist deren Niveau zu untersuchen. Der Autor orientiert nicht sklavisch chronologisch, sondern macht mit einem spektakulären Mordfall auf: 1957 wird in München der ukrainische Exil-Politiker Lev Rebet mit einer Giftampulle ermordet. Unterburg unterfüttert sein Opus mit passend ausgewählten Dokumentations- und Spielfilmausschnitten. Eine filmische Rarität: NKWD-Chef Lawrenti Berija auf einer Fahrt durch die Berliner Trümmerlandschaft von 1945. Rundum gelungen sind die nachgestellten Sequenzen.

Wenn ein ehemaliger KGB-Offizier einräumt, daß der NKWD-Terror der Nachkriegszeit dazu diente, unter der Bevölkerung der SBZ Angst zu verbreiten, dann spricht er zwar keine neue Erkenntnis aus, die Aussage hat aber aus berufenem Mund durchaus Gewicht.

Die in einschlägigen Dokumentationen schon reichlich vorgeführten selbstgerechten KGB-Verantwortlichen sind jedoch in ihrer Häufung nahezu unerträglich; zum einen, weil sie selten Aufhellendes von sich geben, vor allem aber, weil deren Aussagen nicht weiter hinterfragt werden. Beschreibungen der fröhlichen MfS/KGB-Freizeit in Berlin-Karlshorst oder die Behauptung, es sei um das friedliche Zusammenleben der Völker gegangen, sind schlicht überflüssig. Und zweifellos muß der Fragesteller nachhaken, wenn ein Schreibtischtäter - verantwortlich für Auftragsmorde -süffisant von "Todesfällen" schwafelt.

Leider wird nie deutlich, um welche Art Systeme es sich handelte, die sich im sogenannten Kalten Krieg gegenüberstanden. Unterschwellig wird sogar eine gewisse Ambivalenz suggeriert, weil natürlich auch die CIA nicht vor fragwürdigen Methoden zurückschreckte. Daß der NKWD skrupellos auch NS-Konzentrationslager (Sachsenhausen und Buchenwald) weiterführte, bleibt unerwähnt. Die grauenvollen "Speziallager" werden anhand zweier Beispiele am Rande abgehandelt, der Fall Gisela Gneist fälschlicherweise nach Thüringen verlegt. Von den unzähligen Terrorverurteilungen sowjetischer Militärtribunale und den Hinrichtungen durch den militärischen Nachrichtendienst Smersch (Tod den Spionen) erfährt der Zuschauer nichts.

Dafür wird unnötig, weil längst abgehandelt, der Wismut-Komplex ausgebreitet ("Bombenerz", ARD 1994). Es ist unstrittig, daß auch bei der Förderung des Erzes für die sowjetische Atombombe der KGB involviert war. Aber wenn ein ehemaliger Dolmetscher berichtet, er hätte eine Frau beim Herausschmuggeln von 1,5 Kilogramm Uran aus dem Bergwerk erwischt, sind Zweifel an seiner Kompetenz angebracht. Es konnte sich allenfalls um uranhaltiges Erz gehandelt haben.

Die devisenknappe DDR mußte den KGB unterhalten

Authentisch setzt der Regisseur den vom KGB veranlaßten Diebstahl einer Luftabwehrrakete von einem Nato- Luftwaffenstützpunkt in Szene, der der Dokumentation Brisanz verleiht. Der Fall Dr. Linse - dokumentiert mit der bekannten nachgestellten Entführungsszene - firmiert als übles, aber exemplarisches Schurkenstück von MfS/KGB. Das Mitglied des Untersuchungsausschusses Freiheitlicher Juristen wurde 1953 in Moskau liquidiert. Leider heißt er bei Unterburg Werner statt Walter.

Auch im Teil II halten sich Wesentliches und Unwesentliches nahezu die Waage. Hier geht es um Romeos, "Honigfallen" und Residenten. So wurden Romeos mit dem Auftrag, Kanzleramtssekretärinnen anzuzapfen, oder die für den KGB auf interessante Funktionsträger angesetzten Damen ("Honigfallen") bereits in anderen Dokumentationen vorgestellt. Daß allerdings Karl Eduard von Schnitzler im Schwarzen Kanal einen solchen "Umgedrehten" vorgeführt hatte, um die atomare Bedrohung durch die Bundeswehr zu belegen, muß man sich im Kontext der damaligen politischen Wirkung vergegenwärtigen - ebenso die Tatsache, daß die devisenknappe DDR jährlich 1,3 Millionen D-Mark für den Unterhalt des KGB übernehmen mußte.

Selbstverständlich sind Botschaften überall auf der Welt gleichzeitig Geheimdienstresidenturen. Ihr Katz-und-Maus-Spiel mit den jeweilig gegnerischen Abwehrdiensten dürfte niemanden überraschen. Seltenheitswert haben dagegen Innenansichten der KGB-Hochschule in Moskau, präsentiert in einem Lehrfilm. Leider fehlen neue Erkenntnisse über die Rolle des KGB vor, während und nach dem Zusammenbruch der DDR. Dafür darf KGB-General a. D. Scheberschin als letzter zu Wort kommender Zeitzeuge ausführlich über das Leben, die Geschichte und die Politik philosophieren. Opfer mit gebrochenen Biographien und zerstörten Seelen bleiben beim Resümieren ausgeklammert.

Die grundsätzlich lobenswerte Sendung muß wegen fragwürdiger Gewichtungen und kleiner Unstimmigkeiten kritisiert werden. Insbesondere die mangelnde Reflexionsfähigkeit der Täter, die in Rußland nie zur Verantwortung gezogen wurden, hätte in diesem Kontext herausgearbeiten werden müssen. Deren Epigonen sind es nämlich, die derzeit in Rußland und anderswo weiterhin skrupellos im Trüben fischen, wie der Fall Litwinenko beweist.

 

Dirk Jungnickel arbeitet als Regisseur und Autor in Berlin. Er veröffentlichte verschiedene Dokumentarfilme in der ARD und der Deutschen Welle. In seiner bisher fünfteiligen Dokumentation "Zeit-Zeugen" berichten Opfer stalinistisch-kommunistischer Willkür über ihre Schicksale.

Foto: Boris Laptev (vorne), langjähriger KGB-Resident in Bonn, Foto aus den siebziger Jahren: Mangelnde Reflexionsfähigkeit der Täter


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