© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/07 5. Januar 2007

Wegweisende Wochen
Bundespolitik: Der Koalition droht neuer Streit um die Gesundheitsreform / Unterschiedliche Vorstellungen bei der Unternehmensteuer
Paul Rosen

Die Große Koalition hat sich für 2007 viel vorgenommen. Der "größte Teil der Wegstrecke" liege noch vor uns, verkündete Kanzlerin Angela Merkel zum Jahresende im Handelsblatt. Die Felder, um die es geht, sind schnell markiert: Die Gesundheitsreform muß verabschiedet werden, Veränderungen bei der Pflegeversicherung stehen an, und es geht um die Entlastung der Firmen und Selbständigen durch eine Unternehmenssteuerreform. Zudem übernimmt Deutschland für ein halbes Jahr die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union und hat den Vorsitz in der "G 8", dem Zusammenschluß der größten Industrienationen der Welt.

Die größten Probleme dürften Union und SPD mit der Gesundheitsreform haben. Die Sozialdemokraten mit ihrer Gesundheits-Stürmerin Ulla Schmidt wollen die Reform benutzen, um die Privaten Krankenversicherungen aus dem Markt zu drängen und eine Einheitskasse - vergleichbar mit der DDR-Krankenversicherung - zu schaffen. Die CDU will unbedingt den Gesundheitsfonds einführen, eine zentrale Stelle zum Einsammeln der Beiträge, von der aus die einzelnen Krankenkassen dann gespeist werden. Der Fonds ist eine zentrale Forderung des Leipziger Parteitages, die Merkel unbedingt umsetzen will.

Der CSU paßt die ganze Richtung nicht. Die Bayern haben längst registriert, daß die Gesundheitsreform beim Volk unbeliebt ist. Viele Bürger bringen die zum Jahresbeginn erfolgten massiven Beitragserhöhungen bereits mit dem Projekt in Verbindung. In den Koalitionsverhandlungen sorgte CSU-Chef Edmund Stoiber dafür, daß der Fonds erst 2009 eingeführt werden wird. Dahinter steckt die Hoffnung, das gesamte Projekt könne sich wegen des dann beginnenden Bundestagswahlkampfes von allein erledigen oder die Koalition gar nicht bis 2009 halten. Stoiber und andere Ministerpräsidenten befürchten auch, durch den Fonds könnten Milliarden besonders aus Süddeutschland abgezogen und vor allem in die neuen Länder gepumpt werden. Das wollen sie nicht und können sich dabei des Zuspruchs ihrer Wähler sicher sein.

Kritik aus der CSU am Regierungskurs

Außerdem gefällt der CSU nicht, daß die Sozialdemokraten die Privaten Krankenversicherungen de facto abschaffen wollen. Wer weiß, welchen Einfluß Allianz und andere in Bayern sitzende Unternehmen der Branche auf die Politik haben, wundert sich über diese Haltung nicht. Sachlich spricht außerdem nichts für die Aktion gegen die privaten Versicherungen. Sie funktionieren, Probleme haben die Gesetzlichen Kassen. Angesichts der diametral gegeneinander stehenden Positionen der Koalitionspartner ist zu erwarten, daß die Reform entweder ganz scheitert oder nur faule Kompromisse beschlossen werden.

Ähnlich sieht es bei der Unternehmensteuerreform aus. Eine Nettoentlastung der Unternehmen würde den Sozialdemokraten massiven Ärger mit ihrem linken Parteiflügel und den Gewerkschaften bringen. Und auch die Lust der CSU auf Milliardengeschenke an Siemens und andere Industriegrößen, die in der Vergangenheit nichts anderes getan als Arbeitsplätze abgebaut haben, ist gering. Auch hier sieht alles nach einem faulen Kompromiß aus.

Wie zu erwarten ist die Pflegeversicherung, von Norbert Blüm einst als fünfte Säule der Sozialversicherung gefeiert, selbst zum Pflegefall geworden. Die umlagefinanzierte Versicherung hielt der demographischen Entwicklung nicht stand. Die Koalition hat eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder werden Steuergelder in das marode System gepumpt, oder es werden die Leistungen gekürzt, um Einnahmen und Ausgaben wieder in Ausgleich zu bringen. Das beliebte Mittel der Beitragserhöhung müßte eigentlich ausscheiden, da Union und SPD eine Senkung der gesamten Sozialbeiträge anstreben.

Ein anderes Projekt, der zweite Teil der Föderalismusreform, kommt bereits in Gang. Bundestag und Bundesrat haben eine gemeinsame Kommission eingesetzt, um eine Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern und der Länder untereinander auf den Weg zu bringen. Die Materie ist kompliziert, und die wohlhabenden Länder im Süden Deutschlands haben wenig Neigung, von ihrem Wohlstand etwas abzugeben. Die Einführung von Schuldenobergrenzen dürfte sich schwierig gestalten, da Länder wie Berlin keine Chance auf einen ausgeglichenen Haushalt haben und sich nur durch immer neue Kredite über Wasser halten können.

Abgesehen von Merkel und den an den Leipziger Beschlüssen orientierten Teilen der CDU ist der Reformwille in der Großen Koalition ohnehin nicht mehr besonders stark ausgeprägt. SPD-Chef Kurt Beck hatte sich kurz nach Weihnachten mit dem Hinweis zu Wort gemeldet, "die Grenze der Zumutbarkeit" für die Bürger sei erreicht. Zwar warnte CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer davor, mit angezogener Handbremse zu regieren, doch hat Beck die Meinung vieler Bürger auf den Punkt gebracht.

Stoiber in München dürfte es genauso sehen. Merkel wird versuchen, die innenpolitischen Schwierigkeiten mit europäischen Initiativen zu überdecken. "Um im weltweiten Wettbewerb bestehen zu können, müssen wir Strukturreform vorantreiben, auf europäischer Ebene ebenso wie auf der nationalen", so die Kanzlerin. Doch die innenpolitische Lähmung in Frankreich und Großbritannien sowie das schlechte deutsch-polnische Verhältnis lassen große Schritte in Europa unwahrscheinlich erscheinen.


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