© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/07 5. Januar 2007

BRIEF AUS BRÜSSEL
EU-Mitglieder zweiter Klasse
Andreas Mölzer

Zu Jahresbeginn hat die Europäische Union mit Rumänien und Bulgarien die Mitglieder Nummer 26 und 27 aufgenommen. Bereits die große Erweiterungsrunde von 2004 war umstritten, doch der Beitritt Bukarests und Sofias ist besonders problematisch. Noch im Herbst 2006 attestierte die EU-Kommission in einem letzten "Fortschrittsbericht" beiden Balkanländern erhebliche Defizite vor allem im Justizbereich und bei der Bekämpfung der Korruption.

Zweifellos sind Rumänen und Bulgaren ein Teil der europäischen Völkerfamilie, aber der EU-Beitritt kommt zu früh. Wie viele der neuen EU-Bürger sich angesichts der dortigen sozialen wie wirtschaftlichen Tristesse auf den Weg in die alten EU-Staaten machen werden, kann nur geschätzt werden. Die bulgarische Akademie der Wissenschaften nannte jedenfalls im Sommer in einer Studie die Zahl von 200.000 Bulgaren, die in den ersten drei Jahren nach dem EU-Beitritt ihrer Heimat in andere Mitgliedstaaten auswandern wollen. Und bei Rumänien, das zweieinhalbmal so viele Einwohner wie Bulgarien zählt, wäre wohl mit über 400.000 Menschen zu rechnen.

Im Gegensatz zur Erweiterungsrunde 2004, die wider besseres Wissen von der Polit-Nomenklatura durchgezogen wurde, scheinen der Kommission, die bisher vor allem als Sprachrohr der Erweiterungsphantasten in Erscheinung getreten ist, aber doch gewisse Zweifel an der EU-Reife Rumäniens und Bulgariens gekommen zu sein. So kann die Brüsseler Behörde die Auszahlung verschiedener Beihilfen verzögern, wenn die Gelder nicht ordnungsgemäß verwendet werden. Und ungezogenen Schülern gleich müssen Bukarest und Sofia der EU-Zentrale halbjährlich Berichte über den Stand der Reformen vorlegen. Diese sogenannten flankierenden Maßnahmen stellen einen Vorgang dar, der in der EU-Geschichte einmalig ist. Zwei Mitgliedstaaten werden der Kuratel durch Brüssel unterstellt, genauso wie es früher ein anderes real existierendes Gebilde, die verblichene Sowjetunion, mit ihren Satellitenstaaten im Ostblock tat.

Ob die verfrühte Aufnahme in die EU die Hoffnungen der Rumänen und Bulgaren erfüllen wird, darf somit ernsthaft bezweifelt werden. Schließlich wird der Brüsseler Erweiterungsfanatismus nicht vom Grundgedanken der europäischen Einigung getragen, der Friedensidee, sondern ausschließlich von Prämissen der ökonomischen Nützlichkeit. Und daher besteht die Gefahr, daß die noch schwach entwickelten Volkswirtschaften Rumäniens und Bulgariens rasch übervorteilt werden könnten.

Fraglich ist auch, ob Brüssel nun den Erweiterungswahn beenden wird. Vonnöten wäre jedenfalls neben dem sofortigen Abbruch der Verhandlungen mit Ankara ein Erweiterungsstopp mit Ausnahmen des mitteleuropäisch geprägten Kroatien, das heute schon alle Beitrittskriterien erfüllt. Vor allem wäre es eine politische Dummheit erster Klasse, den Ländern des sogenannten Westbalkans einen Zeitrahmen für eine EU-Mitgliedschaft zu nennen. Zwar zählen Staaten wie Serbien kulturhistorisch zu Europa, aber aufgrund ihrer vielschichtigen und tiefgreifenden Probleme haben sie noch einen langen Weg vor sich. Daher sollte sich die EU hüten, bei diesen Ländern falsche Hoffnungen zu erwecken, die sie nur schwer erfüllen kann.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit" und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter


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