© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/07 12. Januar 2007

Kampf dem Geschlechterunterschied
"Gender Mainstreaming": Seit sieben Jahren wird versucht, die deutsche Gesellschaft systematisch "von oben" umzuprogrammieren
Anni Mursula

Eine Straßenarbeiterin auf einem Warnschild und ein Ampelfrauchen - so sieht Chancengleichheit im Straßenverkehr aus. Zumindest wenn es nach der frauenpolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Canan Bayram, geht. Denn sie hält eine solche Veränderung der Piktogramme für sehr angebracht. "Schließlich ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung weiblich." So deutlich wie an den verweiblichten Verkehrszeichen ist "Gender Mainstreaming" wohl nirgendwo sonst zu erwarten. Solche Spitzen eines tieferschwimmenden Eisbergs kommen nur gelegentlich ans Licht.

Gender Mainstreaming bedeutet laut der Internetseite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, "bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt". Der soziologische Begriff "Gender" bezeichnet die sozial und kulturell geprägte Geschlechterrolle von Frau und Mann. Diese sei angeblich anerzogen und somit auch veränderbar.

Sinn des Gender Mainstreaming ist es, ungleiche Machtverhältnisse zu enttarnen und Macht gleichermaßen zwischen Frauen und Männer zu verteilen. Das soll durch Quoten, aber auch mit einer Durchbrechung der herkömmlichen Identitäten geschehen: Zum Beispiel sollen Mädchen in technischen und naturwissenschaftlichen Schulfächern gefördert werden. Sie sollen später Physikerinnen oder Informatikerinnen werden, um dadurch Schlüsselpositionen zu besetzen. Jungen dagegen sollen künftig immer öfter traditionell weibliche Berufe wie Hebamme, Kindergärtner oder Krankenpfleger übernehmen.

Die Bundesregierung ist bereits seit einigen Jahren aktiv: Seit 2001 veranstaltet sie jährlich den sogenannten "Girls' Day" zur Förderung von Mädchen. Unter Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) gibt es nun als männliches Gegenstück hierzu das Projekt "Neue Wege für Jungs". Was im ersten Augenblick vernünftig klingt, wirkt schnell absurd: Den Jungen werden gerade diejenigen Berufe empfohlen, welche für Mädchen als nicht mehr zeitgemäß gelten, da sie nur noch geringe Karriereaussichten böten.

1999 erkannte das Bundeskabinett "die Gleichstellung von Frauen und Männern als durchgängiges Leitprinzip der Bundesregierung" an und beschloß diese Aufgabe "mittels der Strategie des Gender Mainstreaming zu fördern". Seitdem zieht sich die geschlechtliche Gleichmacherei still durch alle Instanzen der Gesellschaft. Sie hat sich zu einem riesigen Apparat entwickelt mit unzähligen Behörden und Projekten auf EU- und nationaler Ebene: "Gender Loops", "Focus" und "GemTrEx" sind nur wenige Beispiele. Die Bundes- und Landesregierungen haben eigene Genderbehörden gegründet, die wiederum zahlreiche Geschäftsstellen, private Firmenkonzepte und Initiativen - wie zum Beispiel das Naturschutzprojekt "Gender Greenstreaming" - fördern. Wie viele Stellen dadurch in Deutschland entstanden sind, kann wohl keiner genau sagen.

Behörden bislang mit Selbstüberprüfung beschäftigt

Noch schwerer wird zu errechnen sein, wieviel Geld in diese Projekte bislang geflossen ist. Sicher ist aber, daß die EU, der Bund und die Länder in die Umprogrammierung der Gesellschaft Millionen investiert haben. Konkrete Ergebnisse wie die geplanten Ampelfrauchen in Berlin bekommt der Bürger allerdings nur selten zu sehen. Denn momentan sind die Gender-Mainstreamer noch mit einer Art Selbstüberprüfung beschäftigt. Sie kontrollieren zum Beispiel mit "Gender-Budgeting", ob ihre selbstgegründeten Behörden ihr eigenes Budget "gendergerecht" verteilen und gleichermaßen für "weibliche" und "männliche" Projekte ausgeben.

"Bislang befindet sich Gender Mainstreaming noch hauptsächlich auf der Verwaltungsebene", bestätigt Dorit Meyer von der Genderagentur Berlin-Brandenburg gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Deshalb sei es so schwer, Beispiele von angewandtem Gender Mainstreaming außerhalb von Organisationen zu nennen. Das Problem sei, daß diese erst selber umstrukturiert werden müßten, bevor sie beispielsweise mit der Erziehung von Kindern beginnen könnten. Es sei wichtig, erst die Organisationspolitik zu überdenken: Wie eine Organisation in bezug auf die Geschlechter aufgebaut ist, welche Ansichten die Menschen dort haben und wofür Geld ausgegeben wird. Erst wenn diese Strukturen stimmten, könnten in den Kindergärten auch die Erzieher in Gender Mainstreaming weitergebildet werden. "Insgesamt ist es naiv zu glauben, daß man jemals die weibliche und männliche Identität vollkommen vernichten kann", sagt Meyer. "Diese ist so fest in der Gesellschaft und in jedem Kind verankert, daß es unmöglich ist, einen genderneutralen Menschen zu schaffen." Aufgabe des Gender Mainstreaming sei es, diese festgefahrenen Identitäten abzubauen. Darüber hinaus wolle man Kindern ein weiteres Möglichkeitsspektrum bieten, als es die herkömmlichen Geschlechterrollen erlaubten.

Dorit Meyer erzählt von ersten Pilotprojekten, die bereits in Kindergärten liefen. Bislang seien die Erzieher aber selber noch viel zu schlecht über Gender Mainstreaming informiert. Oft hätten sie das Prinzip völlig falsch verstanden: Statt die geschlechterbestimmten Schwächen der Mädchen und Jungen durch spezielle Förderung auszugleichen, unterstützten sie stereotypisches Geschlechterverhalten. Die Erzieher müßten deshalb erst selber erzogen werden, sagt sie.

Meyers These, daß Gender Mainstreaming noch nicht bei den Erziehern angekommen ist, bestätigt auch ein Gespräch mit einer Berliner Kindergärtnerin: Sie gab an, daß in ihrer Kindertagesstätte Gender Mainstreaming seit einiger Zeit angewandt werde. "Wir versuchen die speziellen Interessen der Mädchen und Jungen nachzugehen. Daß Jungen zum Beispiel von Natur aus aggressiver sind und toben wollen, muß von uns Erzieherinnen respektiert und gefördert werden", sagt die Erzieherin aus dem Stadtteil Treptow-Köpenick. Obwohl sie das Prinzip des Gender Mainstreaming eher falsch verstanden hat, konnte sie mit dem Begriff etwas anfangen. Das ist nicht immer so: Obwohl laut der Gender-Mainstreaming-Geschäftsstelle der Stadt Berlin in Treptow-Köpenick seit 2003 ein Pilotprojekt in den Kindertagestätten läuft, haben viele Erzieherinnen in diesem Stadtteil nie etwas davon gehört. "Was ist das denn? Können Sie das wiederholen?" fragt eine Erzieherin aus dem "Kindergarten im Grünen" am Telefon. "Gender-was? Können wir nicht Deutsch miteinander reden?"

Weitere Informationen im Internet unter: www.gender-mainstreaming.net; www.genderkompetenz.info; www.neue-wege-fuer-jungs.de; www.dissens.de


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