© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/07 12. Januar 2007

Die Sonne auf der Erde kopieren
Energiepolitik: Alternative Kernfusion / Internationale Finanzierung für Forschungsreaktor ITER in Frankreich
Klaus Peter Krause

Die Bundesregierung sieht den Streit zwischen der russischen Gasprom und Weißrußland und damit möglicherweise verbundene Lieferengpässe für Europa mit Sorge", erklärte Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) kurz nach Weihnachten. Inzwischen ist der Konflikt zwar beigelegt, aber am Dienstag schreckte Minsk mit der Unterbrechung der Ölpipeline "Druschba" die Abnehmer in der EU auf - und verdeutlichte die zunehmende Abhängigkeit vom Lieferanten Rußland. Am 15. Februar beschäftigt sich in Brüssel der EU-Rat für Telekommunikation, Verkehr und Energie unter Vorsitz von Glos mit dem Aktionsplan "Energiepolitik für Europa", der von den EU-Staats- und Regierungschefs auf dem Europäischen Rat im März angenommen werden soll. Doch sichere und bezahlbare Alternativen zum russischen Öl und Gas sind derzeit nicht in Sicht.

500 bis 600 Millionen Euro kommen aus Deutschland

Neue Ideen sind gefragt - jenseits von Öl, Kohle, Gas und Atomstrom. Wasserkraft, Biomasse, Sonnenwärme oder Wind können den globalen Energiebedarf aber nicht allein decken. Eine denkbare neue Energiequelle könnte die Kernfusion werden. Am 21. November 2006 wurde in Paris das Finanzierungsabkommen für den ersten Versuchsreaktor (International Thermonuclear Experimental Reactor/ITER, mit Standort im südfranzösischen Cadarache) unterzeichnet. Das Vorhaben ist derart umfangreich und teuer, daß es die EU, die USA, Rußland, China, Indien, Japan und Südkorea gemeinsam betreiben. Deutschland wird in den nächsten zehn Jahren über den EU-Haushalt etwa 500 bis 600 Millionen Euro beisteuern. In der Forschung und Planung läuft das Jahrhundertprojekt schon seit achtzehn Jahren. "Vorbild" ist dabei die Sonne. Sie ist ein ungebändigter Kernfusionsreaktor, der in riesigen Mengen Wasserstoff zu Helium "verbrennt". Die Idee ist, die Kernfusion für die Menschen ebenso nutzbar machen, wie es mit der Kernspaltung (in Atomkraftwerken) schon seit Jahrzehnten geschieht, aber gebändigt und ohne deren Nachteile.

An diesem Vorhaben ist auch das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswald beteiligt. Gegenwärtig wird dort das weltgrößte Fusionsexperiment vom Typ Stellarator gebaut, Wendelstein 7-X genannt. "Wir wollen mit ITER und den späteren kommerziellen Reaktoren das, was in der Sonne stattfindet und dort gewaltige Energie freisetzt, auf der Erde gleichsam kopieren und den künftigen Energiebedarf der Menschheit mit Hilfe dieser irdischen Kopie sicherstellen", erklärte der zuständige Projektleiter, Hans-Jürgen Hartfuß. Es gehe darum, "das Sonnenfeuer auf die Erde zu holen".

Kann man das wirklich? Hartfuß und viele Forscherkollegen sind davon fest überzeugt: "Man kann, aber es wird noch dauern." Von allen möglichen Verschmelzungsreaktionen ergibt die Reaktion zwischen den beiden Wasserstoff-Isotopen Deuterium und Tritium die größte Energieausbeute bei der vergleichsweise niedrigsten Temperatur.

Der Fusionsreaktor Sonne verwendet allerdings normalen Wasserstoff. Im Aggregatzustand als heißes Plasma wird er dort durch den ungeheuren Druck infolge der Schwerkraft der Sonne zusammengehalten. Anders im Fusionskraftwerk auf der Erde; hier muß die Verschmelzung kontrolliert in einem geschlossenen Behälter ablaufen und das heiße Brennstoffgemisch in einen Magnetfeldkäfig eingeschlossen werden, um es von den Wänden des Vakuumsgefäßes fernzuhalten. Aber um die beiden Brennstoffe in diesem "Ofen" zur Fusion, zur Verschmelzung ihrer Kerne zu bringen, muß die daraus bestehende Plasmamasse mehr als höllisch-teuflisch erhitzt werden, nämlich auf rund 100 Millionen Grad der Kelvin-Skala.

Um sie auf diese Hitze zu entzünden, verwendet man als "Streichholz" zum Beispiel elektromagnetische Wellen und strahlt sie mit einem starken Sender auf das Wasserstoffgas-Brennstoffgemisch ein, wo sie dieses rasch ionisieren und auf hohe Temperaturen aufheizen. Das Prinzip entspricht dem des Mikrowellenherdes. Um den Kernfusionsprozeß zu starten, bedarf es eines solchen "Zündungsimpulses" von nur wenigen Sekunden Dauer mit einer Heizleistung von typisch zehn Megawatt. Die Energie dafür liefert elektrischer Strom. Diese einmaligen zehn Megawatt stoßen dann einen Prozeß an, der kontinuierlich 3.000 Megawatt als thermische Leistung liefert und so lange läuft, bis man den Reaktor - zum Beispiel für Wartungsarbeiten - abschaltet.

Das Schöne an dieser Kernfusion ist: Der Brennstoff ist nicht nur so gut wie unerschöpflich vorhanden, sondern auch gleichmäßig über den Erdball verteilt, denn gewonnen wird das Deuterium aus dem Meer und das Tritium aus dem in der Erdkruste überall vorhandenen (mindestens für 30.000 Jahre reichende) Lithium. Damit sind Konflikte wie bei den fossilen Energierohstoffen nicht zu befürchten.

Ab 2050 könnte das erste Kraftwerk in Betrieb gehen

Das Schöne ist ferner die in dem Verfahren selbst liegende Sicherheit, weil es sich bei Störung von allein abschaltet. Auch gibt es keine Emissionen, und der radioaktive Abfall ist (als eine Folge der Aktivierung der Reaktorgefäßwände) deutlich geringer als bei Kernspaltungsreaktoren. Das ITER-Experiment soll nachweisen, daß sich die Kernfusion zur Energiegewinnung prinzipiell eignet und daß das Konzept, das heiße Plasma mit Hilfe von starken Magnetfeldern einzuschließen, zukunftsträchtig ist. Ist ITER fertiggestellt, vermutlich 2015, wird mit ihm mindestens zwanzig Jahre experimentiert. Läuft alles wie geplant, wollen die Forscher noch während dieser Laufzeit den Prototypen eines Fusionskraftwerkes planen und bauen, abgekürzt DEMO genannt. Der Prototyp könnte frühestens 2035 fertig sein. Wenn auch er erfolgreich läuft, lassen sich Fusionskraftwerke zur kommerziellen Stromgewinnung errichten. Das wird laut Hartfuß' Schätzung etwa 2050 sein - falls alle bis dahin noch nötigen Experimente und Vorstufen ohne Rückschläge geglückt sind.

Informationen beim Max-Planck-Institut für Plasmaphysik im Internet: www.ipp.mpg.de; Auf französisch: www.itercad.org


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen