© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/07 12. Januar 2007

Geschlechterrollen: Die Suche nach dem männlichen Eigensinn
Aufstand der sieben Zwerge
Ernst Brandl

Aus den scheinbar unendlichen Kommunikationsweiten des Internets spülte kürzlich eine unscheinbare dpa-Meldung auf den Redaktionstisch. "Männerdemo in Schwerin": Mitglieder der Mecklenburger Männerinitiative protestierten in Schwerin gegen die zunehmende Verweiblichung des Männerbildes. Die sieben Teilnehmer forderten eine Stärkung des traditionellen männlichen Selbstverständnisses. Bei der nach Angaben der Veranstalter deutschlandweit einzigartigen Aktion solle "um mehr Toleranz für ein chauvinistisches Selbstverständnis der Männer geworben werden".

Unter der recht reißerischen Schlagzeile "Der Aufstand der sieben Zwerge" schaffte die Meldung es immerhin in die Lokalausgabe für Rostock und Umgebung der Schweriner Volkszeitung. Dabei führten die um das traditionelle Selbstverständnis der Männer besorgten Demonstranten recht plakativ formulierte Transparente mit sich. "Was wollen Frauen wirklich?" und "Sitzpinkler raus" hatte die Mecklenburger Männerrunde auf die Plakate gepinselt.

Der Mann wird nur allzu gern als Mängelwesen deklariert

Mit ihrer "Männerdemo" und diesem öffentlichen Protest gegen die westliche Kultur und ihr scheinbar unstillbares Streben nach egalitärer Durchmischung der Geschlechter bedienten die mutigen Herren freilich alte Klischeebilder. Was hier allzu leicht als mangelnde Sensibilität taxiert werden könnte, ist aber vielleicht nur der Mut zum geschlechtsspezifischen Unwillen, wortreiche Umnebelungsaktionen einzusetzen.

Aus einer der zahllosen deutschen Talk-Sendungen bleibt ein viel beklatschtes und belachtes Abschlußwort der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer in guter Erinnerung. Sie meinte damals lapidar: "Gleichberechtigung ist erst erreicht, wenn Frauen genauso dumm sein dürfen wie Männer." Würde ein prominenter Mann eine ähnlich unqualifizierte Aussage in entgegengesetzter Richtung tätigen, er würde wohl postwendend von den Medien entweder als emanzipationsfeindlicher Macho oder geistiger Neandertaler gebrandmarkt.

Doch den Mann zum Mängel- und Defizitwesen zu deklarieren, scheint inzwischen Tradition zu sein. In der öffentlichen Diskussion werden nun schon seit beinah dreißig Jahren Männer - just am 26. Januar feiert Alice Schwarzers Frauenzeitschrift Emma ihr 30jähriges Bestehen! - aus dieser Position betrachtet.

Unsere Gesellschaft kämpft seit Jahren mit einem gewaltigen Problem: Männer erweisen sich als veränderungs-, beratungs- und therapieresistent. Trotz progressivster Erziehungsmodelle, Therapien, der Schule, öffentlicher Leitbilder und Selbstbezichtigungen der Männer ändert sich nichts. Während das weibliche Geschlecht an sich arbeitet und sich selbstreflexiv verwirklicht, bleibt das Erleben und das Verhalten der Männer gleich. Die Anstrengungen der Allgemeinheit haben das Gegenteil bewirkt. Es gibt immer noch die "Machos", die Frauen nicht verstehen wollen und "Sitzpinkler" überhaupt nicht gut finden. Solche "Machos", die "eine Stärkung des traditionellen Selbstverständnis der Männer" einfordern, ernten natürlich Kopfschütteln in einer egalitär ausgerichteten Gesellschaft.

Für den "traditionellen Mann" darf man mit Schiller ein altes Rollenbild bemühen - der Mann muß hinaus und "schaffen", und drinnen waltet die Hausfrau. Dieses Bild steckt tief in der westlichen Kultur, die Aufteilung der zwei "Reichshälften" des Lebens, Familie und Beruf, auf Frau und Mann. Es ist dieser traditionelle Mann, der seine Identität vornehmlich aus der beruflichen Arbeit schöpft. Das geht so weit, daß die Selbstmordrate unter 40- bis 55jährigen arbeitslosen Männern in den letzten Jahren sprunghaft gestiegen ist.

Walter Hollstein, einer der wenigen Wissenschaftler, die sich mit der Männerforschung befassen, meint deshalb wohl zu Recht, daß Männer in der heutigen Kultur - die natürlich männerdominiert, also durch die Männermacht im öffentlichen Leben sehr deutlich geprägt ist - längst nicht nur mehr Täter, sondern auch Opfer sind. Das heißt, Männer sind die Verlierer genau jener Gesellschaft, die sie hervorbringen.

Was tun? Für Hollstein ist die Marschrichtung klar: "Für die Geschlechterverhältnisse, für Frauen- und Männeremanzipation gilt: Gesellschaftliche Zustände ändern sich nur dann, wenn sich Menschen finden, die die Verantwortung für den sozialen Wandel auf sich nehmen. Was heißt das konkret? Es heißt: Neues versuchen, Widerstand gegen Eingefahrenes üben, Konventionen durchbrechen, Widerspruch wagen, Mißstände benennen."

Foto: Männerdemo in Schwerin: Aufruf zur Stärkung des traditionellen Selbstverständnisses der Männer


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