© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/07 26. Januar 2007

"Ich bin das Volk"
Venezuela: Präsident Hugo Chávez will eine "sozialistische Republik" schaffen / Öleinnahmen als Finanzquelle
Paul Leonhard

Ich bin das Volk", sagt Hugo Rafael Chávez Frías. Und mit seinem Hasta la victoria siempre! (Auf ewig zum Sieg!) bezieht sich der für weitere sechs Jahre im Amt bestätigte Präsident Venezuelas nicht zufällig auf das sozialistische Kuba. Auch die Anfang Januar im Regierungsprogramm angekündigten Reformen erinnern an die Politik Fidel Castros in den sechziger Jahren.

Der seit 1958 westlich-demokratisch verfaßte Staat soll demontiert, der Energie- und Kommunikationssektor verstaatlich werden, die Zentralbank ihre Autonomie verlieren. Die linken bis linksnationalen Gruppierungen sollen zu einer sozialistischen Einheitspartei vereinigt werden. Seine Position will der 52jährige Linkspopulist mit einer Verfassungsreform zementieren, die ihm weitreichende Ermächtigungen und die Wiederwahl auf unbestimmte Zeit ermöglicht. Per Referendum will Chávez in der zweiten Hälfte des Jahres über die Verfassungsänderungen abstimmen lassen. Daß er damit Erfolg hat, gilt als sicher. Da die Opposition 2005 die Wahlen boykottierte, sitzen nur Chávez-Anhänger im Parlament.

Chávez ist entschlossen, das Land gründlich umzukrempeln und Tatsachen auf dem Weg zu einer "sozialistischen Republik" zu schaffen. Die bisherigen demokratischen Spielregeln will er zugunsten eines "Volksmacht-Modells" aufgeben. Wie das praktisch aussehen und wohin es führen könnte, ist in Kuba zu studieren. Aber Castro-Sozialismus plus Rohstoffreichtum (und Allianz mit dem Iran, JF 4/07) könnten eine brisantere Mischung werden.

Liberale Wirtschaftsexperten befürchten, daß die Verstaatlichung weiter Teile der Wirtschaft den Privatsektor weiter schwächen und Venezuela allein vom Ölexport abhängig machen wird. Folgen wären steigende Arbeitslosigkeit und sinkende Wettbewerbsfähigkeit. Trotz der Verschleuderung der Öleinnahmen für populistische Maßnahmen werde Venezuela zunächst weiter vorankommen, "aber es ist eine perverse Art, eine Wirtschaft am Leben zu halten", warnt Christian Stracke, Analyst der US-Firma Credit Sights.

Angeblich 40 Prozent des Staatshaushaltes für Soziales

Die Mehrheit der Bevölkerung steht allerdings zu den Zielen ihres charismatischen Führers. Zu tief sind die Enttäuschungen über die neoliberale Politik der neunziger Jahre, die Präsident Carlos Andrés Pérez als Reaktion auf die steigenden Auslandsschulden wegen sinkender Öleinnahmen startete. Die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) empfohlene Privatisierungspolitik hatte Venezuela in eine tiefe Krise gestürzt, die Chávez 1992 zu einem Putschversuch animierte. Auch deswegen schaut ganz Lateinamerika mit angehaltenem Atem auf die Reformen. Denn im Gegensatz zu anderen linken Regierungen hat Chávez soziale Programme nicht nur versprochen, sondern auch umgesetzt. Allein 2006 wurden umgerechnet 6,9 Milliarden US-Dollar für die Sozialprogramme ausgegeben. 2007 stehen angeblich 40 Prozent des Staatshaushaltes für Soziales bereit.

Mit Hilfe Zehntausender kubanischer Helfer wurde ein kostenloses Bildungs- und Gesundheitssystem für die Bevölkerung aufgebaut. Für den Bau von Häusern spendiert der Staat den Ärmsten zinslose Kredite. In speziellen Lebensmittelgeschäften können Bedürftige subventionierte Waren des täglichen Bedarfs kaufen. Rückhalt findet auch die jetzt erfolgte Umbildung des Regierungskabinetts, wodurch Chávez den Kampf gegen Korruption und Bürokratie verstärken will. Bereits bei seinem Amtsantritt 1999 hatte der ehemalige Fallschirmjägeroffizier geschworen, nur ein "gründlicher Exorzismus" könne "die Teufel der Korruption, der Verschwendung und der Gleichgültigkeit gegenüber unseren Mitmenschen austreiben".

Wie das von Chávez anvisierte Modell eines "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" aussehen soll, ist dennoch unklar. Betonte er vor wenigen Monaten noch, daß die Thesen von Karl Marx nicht zu Lateinamerika paßten und weder der Sowjet-Sozialismus noch dessen kubanische Variante für ihn Vorbilder seien, berief er sich zum Start seiner dritten Amtszeit am 10. Januar ausdrücklich auf Marx und Lenin sowie die von Trotzki vertretene These der permanenten Revolution. Chávez sieht sich dabei vor allem als Nachfolger des in Lateinamerika verehrten Simón Bolívar, einer Symbolfigur des Kampfes gegen die Kolonialmacht Spanien Anfang des 19. Jahrhunderts.

Solange das Öl fließt, toleriert Washington "Sozialismus"

Chávez erklärtes außenpolitisches Ziel ist eine "globale Allianz gegen das Imperium der USA" - ein vereintes sozialistisches Lateinamerika. Flankiert werden soll das Ganze von einer Allianz mit dem Iran und einer Annäherung an China und Rußland. Sogar über einen Wechsel vom US-Dollar zum Euro im Ölgeschäft wird laut nachgedacht. Auch deswegen wird nicht nur der Verstaatlichungsprozeß in Venezuela mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Bisher ist die "bolivarische Revolution" zwar lediglich auf Venezuela und die wirtschaftlich schwachen Länder Ecuador, Bolivien und Nicaragua beschränkt, aber Analysten befürchten, daß auch Argentinien oder Brasilien sich zu Verstaatlichungen ermutigt fühlen könnten.

"Wir wollen eine Bürgerrevolution, keinen Wechsel innerhalb des Systems, denn die Strukturen taugen nicht mehr", bekundete bereits Rafael Vicente Correa Delgado. Der am 15. Januar ins Amt eingeführte linkskatholische Präsident strebt für Ecuador ebenfalls ein sozialistisches Modell an. Dafür sollen die Auslandsschulden neu strukturiert und die Verträge mit den ausländischen Erdölfördergesellschaften "überprüft" werden. Von den vorgesehenen Verstaatlichungen sind vor allem US-Unternehmen wie Verizon und der Energiekonzern AES betroffen, aber auch Ölkonzerne wie Exxon Mobil, Chevron, Total, Conoco Phillips oder BP.

Trotz allem reagierte Washington bisher auffallend zurückhaltend - denn die Lieferungen des fünftgrößten Ölexporteurs fließen weiter, die Hälfte davon in die USA. Und Chávez braucht die US-Petrodollar. Die Verstaatlichungen würden nicht die erhofften wirtschaftlichen Vorteile mit sich bringen, warnte ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA. Sollten US-Firmen von den Verstaatlichungen betroffen sein, erwarte man, daß "sie schnell und fair entschädigt" werden. Vor einem Jahr hatten US-Wirtschaftsexperten dergleichen noch ganz ausgeschlossen: In Lateinamerika drohe weder die Enteignung von US-Kapital noch die Verstaatlichung ausländischer Konzerne.

Foto: Präsidenten Chávez, Correa und Morales: "Globale Allianz gegen das Imperium der USA" geplant


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