© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/07 26. Januar 2007

Pankraz,
Kaiser Trajanus und das Zweistromland

Schlimmer, als es jetzt ist, kann es nicht werden, aber wenn wir rausgehen, wird es noch schlimmer". So die Argumentationsfigur, die zur Zeit in den USA fast überall abgespult wird, wenn es um die Frage geht, ob die eigenen und die britischen Invasionstruppen aus dem Irak abgezogen werden sollen oder nicht. Auch viele Demokraten und andere Bush-Gegner reden so (und die europäischen TV-Sender und Zeitungen ohnehin). Niemand stößt sich an der offenbaren Unlogik, alle tun so, als wüßten sie genau Bescheid.

Was würde aber wirklich Neues passieren, wenn die Invasoren abzögen? Gar nichts Neues. Das gegenwärtige Chaos würde - fürs erste wenigstens - weitergehen: die ethnischen Säuberungen in Bagdad und anderswo, die zügellose Herrschaft der Milizen, das tägliche Blutvergießen. Der "Bürgerkrieg" würde nicht ausbrechen, erstens weil er längst ausgebrochen ist, und zweitens weil es im Irak gar keine Bürger im klassischen Sinne gibt, die sich gegenseitig bekriegen könnten.

Was es gibt, ist eine Gemengelage aus Stammesangehörigen, Clan-Mitgliedern, religiösen Proselyten und Fanatikern. Der Versuch der national-etatistischen Baath-Sozialisten um Saddam Hussein, aus diesem Gemenge einen Staat zu machen, war buchstäblich auf Sand gebaut. Er führte zur Errichtung einer rabiaten Diktatur auf sunnitisch-arabischer Stammesgrundlage und anschließend - nach der Invasion - zu ebenjenem Chaos, das die Amerikaner und Briten durch ihre Präsenz nicht beseitigen, sondern nur immer neu anfachen können.

Ein Abzug der Invasoren würde wenigstens insofern für Beruhigung sorgen, als die nationale Kränkung wegfiele, die sich aus der Besetzung des Landes durch "Ungläubige" und "westliche Aggressoren" ergibt. Das oft ausgemalte Szenario, daß die Schiiten dann, abgestützt durch ihre numerische Mehrheit und durch die Sympathien des benachbarten, ebenfalls schiitischen Iran, alle Sunniten massakrieren bzw. total entrechten würden, erscheint völlig unrealistisch. Schließlich haben auch die Sunniten reiche und einflußreiche Sympathisanten in Gestalt des sunnitischen Saudi-Arabiens und Jordaniens. Eine Kräftebalance zwischen den rivalisierenden Gruppierungen wäre vorab garantiert.

Weder Iran noch Saudi-Arabien sind im mindesten an einem großen Krieg gegeneinander wegen des Irak interessiert. Sie würden im Falle eines Abzugs genau das tun, woran sie im Augenblick durch die Präsenz der Amerikaner in Bagdad und deren "demokratischer" Marionettenregierung gehindert werden: massiv in die irakische Politik eingreifen, nicht zuletzt um mäßigend auf ihre jeweilige Klientel einzuwirken. Ihre Erfolgsaussichten wären mit Sicherheit größer als die der Invasoren. Denn sie sind keine raumfremden Mächte, sie nehmen Interessen wahr, die direkt aus der geopolitischen Lage und den spezifischen Traditionen des Raumes erwachsen.

Die Amerikaner hingegen sind im Nahen Osten raumfremde Imperialisten, die direkt das Erbe der alten Kolonialmächte angetreten haben - eine grelle Zumutung im Zeitalter der Entkolonialisierung. Und sie garnieren ihren Neo-Kolonialismus mit nachgerade kriminellen Theorien und Doktrinen, denen zufolge die amerikanische Lebensweise und Regierungsstruktur im Namen Gottes überall auf der Welt etabliert werden muß, wenn nötig gewaltsam, durch Angriffskriege und atomare Erstschläge.

Man kann sich durchaus darüber streiten, was sprengstoffhaltiger war, die US-Doktrinen oder der internationale Terror, dessen Existenz als Rechtfertigung für sie herhalten mußte. Fest steht jedenfalls: Im Verlaufe des "Kampfes gegen den Terror", so wie er von den Bekämpfern arrangiert und ideologisch abgesichert wird, gleichen sich die Kampfmethoden beider Seiten immer mehr an. Grausamkeit, Folter, Freiheitseinschränkungen sonder Zahl ziehen auch im Westen ein, beschädigen sein Ansehen, lassen lang bewährte Allianzen brüchig werden.

Fest steht auch: Der Einfall in den Irak war nichts weniger als ein Erfolg im Kampf gegen den Terror, ganz im Gegenteil, er hat ihn erst richtig zur Entfaltung gebracht, hat den Terroristen neue Aktionsfelder erschlossen und ihnen die Gelegenheit verschafft, sich mit nationalen Befreiungskämpfen zu verbünden und sich hinter ihnen zu verstecken. Vielleicht ist dies das stärkste Argument für einen Abzug aus dem Irak: Der Verbleib der Invasoren dort facht den Terrorismus immer neu an, verschafft ihm immer neue Vorwände. Wer das beobachtet, kann an sich nur eine Schlußfolgerung ziehen: Raus! Raus so früh wie möglich!

Eine Großmacht mit Ambitionen, so heißt es nun, könne doch nicht einfach aus einem Land, das sie besetzt hat, abziehen, womöglich gar unter dem Triumphgeheul von Gegnern. Das bewirke doch einen verhängnisvollen Gesichtsverlust. Aber tut es das tatsächlich? Ein berühmtes Parallelbeispiel aus der altrömischen Geschichte, die Zweistrompolitik des Imperators Hadrianus (76 bis 138), spricht an sich eine andere Sprache.

Hadrians Vorgänger Trajanus hatte das damalige Assyrien-Mesopotamien, weitgehend identisch mit dem heutigen Irak, im Zuge seiner Expansionspolitik besetzt und dem Imperium einverleibt. Doch er und das Imperium wurden damit nicht glücklich. "Dieses Land ist eine unerträgliche Last", stöhnte Sueton. Es gab andauernd Kämpfe gegen die Parther, mit schwersten Verlusten. Es gab ewige Sabotage durch örtliche Regionalmachthaber, horrenden Prestigeverlust bei sämtlichen Lehnsfürsten und Prokonsuln.

Hadrian beendete das Trauerspiel sofort nach Regierungsantritt, und zwar mit dem entschlossensten Schritt, der denkbar war. Er räumte das Zweistromland. Und Mitwelt wie Nachwelt dankten es ihm, rühmten ihn alsbald - völlig zu Recht - als den besten Imperator, den das Reich je gehabt habe. US-Präsident Bush ist nun gewiß kein zweiter Trajan, und ein Hadrian kann er schon gar nicht werden. Es bleibt aber die Hoffnung auf seinen Nachfolger, Hadrian-Mut und Abzug vorausgesetzt.


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