© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/07 26. Januar 2007

Die Utopie ist tot, lang lebe ...
... die Utopie: Wird die Menschenrechtsideologie zum neuen Sündenfall der Intellektuellen?
Thorsten Hinz

Für Mary Robinson, früher Hohe Menschenrechtskommissarin der Uno und jetzt Präsidentin von "Realizing Rights: The Ethical Globalization Initiative", ist "der Schutz der Menschenrechte von Migranten" vordringlich. Zur Begründung einer "menschenrechtsorientierten Politik" nennt sie drei Argumente. Erstens würde den Migranten die Möglichkeit zur legalen Arbeit eingeräumt. Zweitens würde sie ihnen Aufenthaltsgenehmigungen, den Zugang zu medizinischer Versorgung, Wohnraum und Integration ermöglichen. Und drittens seien Menschenrechte keine "Wunschsache", sondern international verbindlich für alle Staaten festgelegt!

Frau Robinson läßt sich nicht als weltfremde Idealistin abtun, denn sie hat als Staatspräsidentin Irlands viel Erfahrung in der praktischen Politik gesammelt. Um so ernster sind die Defizite, die sich in ihrer Begründung auftun. Da ist zunächst der Begriff "Migrant", der den Unterschied verwischt zwischen Einwanderern, die das Empfängerland nach einem Prüfverfahren willkommen heißt, und illegalen Zuwanderern, Asylanten usw. Allein dadurch, daß jemand sich auf den Weg macht und alle Hindernisse überwindet, sollen ihm im Zielland "Menschenrechte", politische und soziale, entstanden sein, auf die das Land gar keinen Einfluß hat.

Es muß sich um Rechte handeln, die in einem abstrakten Menschsein wurzeln, doch ein Widerspruch bleibt ungelöst: Was von einer "Weltgemeinschaft" als universelles Recht proklamiert und festgelegt worden ist, muß nicht von dieser, sondern von einem konkreten Staat realisiert werden, dessen Bürger bei der Festlegung, Definition und Umsetzung der Rechte übergangen und entmündigt werden.

Die Menschenrechtsproblematik ist ein zentrales Moment der internationalen und nationalen Politik und wegen der Wanderungsströme auch einer breiten Öffentlichkeit als solches bewußt geworden. Sie ist populär, denn an ihr wärmt sich das Herz. Eine schlüssige Beweisführung der Menschenrechte aber gibt es bis heute nicht. Ihre naturrechtliche Begründung mit der "Gleichheit" aller Menschen ist kaum überzeugend, weil die Menschen von Natur eher verschieden sind. Auch kann der Mensch nicht als abstraktes Individuum definiert werden, denn er lebt in einer konkreten Gemeinschaft, kommuniziert mit deren Werten, Normen, Traditionen, wird von ihnen geprägt und prägt sie selbst.

"Die Gesamtheit dieser Beziehungen und Gebräuche", schreibt Alain de Benoist, "- all das also, was sein Umfeld ausmacht und sein Wesen umgibt - ist kein überflüssiges Beiwerk, sondern im Gegenteil ein wesentlicher Bestandteil seines Ichs." Warum soll er dessen Umschmelzung durch die Veränderung des Umfelds hinnehmen? Wer darf sagen, daß das Recht auf Selbstbehauptung hinter dem Recht des anderen auf Verbesserung seiner Lebensbedingungen zurückzutreten hätte?

Wie wenig die Frage mit hypermoralischem Vokabular beantwortet werden kann, zeigt sich, wenn man sie in der Sprache der Ökonomie formuliert. Es ist irrsinnig, die materiellen und immateriellen Gemeinschaftsgüter einer Gesellschaft bedingungslos jedem zugänglich zu machen. Denn das schafft den Anreiz, sie exzessiv in Anspruch zu nehmen, ohne etwas für ihre Regeneration zu tun. Ein sozialistischer Schlendrian unter menschenrechtlichem Vorzeichen wäre das, denn den Menschenrechten stünden keine Verpflichtungen gegenüber. Das führt zum Verschleiß der Gemeinschaftsgüter und der Gesellschaft, die sie hervorgebracht hat. Wieso soll ein Land, eine Gesellschaft sich derartiges antun?

Die aktuelle Menschenrechtspolitik ist ein Kind der Globalisierung. Ohne sie auf ein ideologisches Vehikel zur ökonomischen Expansion reduzieren zu wollen - hinter ihr steckt das Gedankenkonstrukt, den Reichtum des westlichen Kapitalismus mit weltweit proklamierten sozialen und politischen Rechten zu verbinden und damit eine gerechte Weltgesellschaft zu schaffen. Nach 1989 wurde von konservativen, liberalen und reumütigen linken Intellektuellen der Sieg über den utopischen Politikbegriff gefeiert, der in den totalitären Ideologien seinen theoretischen Entwurf und in den roten und braunen Diktaturen seine praktische Ausformung gefunden hatte. Das war verständlich. Doch die Einmütigkeit, mit der seither der Siegeszug des liberalen westlichen Systems beschworen wird, trägt gleichfalls Elemente eines dogmatischen Utopismus in sich. Findet nach den zwei totalitären Sündenfällen der Intellektuellen im 20. Jahrhundert nun ein dritter statt, in universalistisch-demokratischer Drapierung?

Der westliche Sozialstaatsentwurf plus politisch-ethische Vereinheitlichung der Welt - das ist der universalistisch-teleologische Geschichtsentwurf, für den die Menschenrechte das Vehikel bilden. Doch der Entwurf beruft sich auf Voraussetzungen, die weltweit gar nicht gegeben sind. Die universalistisch-menschenrechtlichen Prinzipien, "die allen Individuen als Individuen gleiche Autonomie und Würde zusprechen, (können) nur in Gesellschaften gedeihen, in denen eine hochdifferenzierte Arbeitsteilung das Kollektiv atomisiert und Massenproduktion und -konsum auf vollen Touren laufen. Entfallen diese Voraussetzungen, dann müssen die Freiräume zusammenschrumpfen, in denen sich individualistische Selbstverwirklichung, Toleranz, Konsens entfalten. Solche Prinzipien und Einstellungen sind ja die Begleiterscheinungen eines abgesicherten Wohlstandes, bei dem es für keinen einzelnen existentiell entscheidend ist, was sein nächster glaubt und treibt." (Panajotis Kondylis)

Man kann sich ausrechnen, daß weder ökonomische Gerechtigkeit noch Selbstverleugnung einen Ausweg bieten. Wenn die Gemeinschaftsgüter der Nordländer "gerecht" auf die Welt verteilt würden, sei es durch unbegrenztes Einlassen von Zuwanderern, sei es durch Transfers, deren Höhe sich am Anteil der Armen an der Weltbevölkerung bemißt, würde deswegen kein weltweiter Massenwohlstand ausbrechen, sondern die Armut sich global ausdehnen. Würde andererseits die Dritte Welt genauso leben wie der Westen und ihren Energieverbrauch auf den der USA hochschrauben, wäre die Katastrophe total oder scheiterte höchstens an der Endlichkeit der Ressourcen.

Wer weltweite Erwartungen weckt und als Rechte sanktioniert, die sich am Vorbild der Massendemokratie und des Massenwohlstands im Westen orientieren, während doch die materiellen Voraussetzungen dafür fehlen, sammelt Explosivstoff, an dem sich ein neuer Weltbürgerkrieg entzünden kann. Der wird auch die Menschenrechts-Verfechter nicht unverschont lassen!


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