© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/07 26. Januar 2007

Im Tarnmantel
Konservatismus: Biographie über Bertrand de Jouvenel
Paul Gottfried

Manche sahen ihn als Konservativen, manche als Neoliberalen. Er selbst sagte im hohen Alter über sich, er sei "ein Mann der Linken". Bertrand de Jouvenel (1903-1987) gehört zu den faszinierendsten und schillerndsten Intellektuellen des zwanzigsten Jahrhunderts, doch ist sein Name heute nur noch wenigen ein Begriff; seine Bücher verstauben ungelesen in Bibliotheken. Der amerikanische Politikwissenschaftler Daniel J. Mahoney hat sich der Aufgabe gestellt, wie er im Vorwort seiner Biographie schreibt, in einem "Akt der intellektuellen Wiederentdeckung" Jouvenel zu verstehen und seine politischen Theorien für die Gegenwart und Zukunft fruchtbar zu machen.

Zu den seinerzeit hochgelobten Werken des in französischer und englischer Sprache schreibenden Jouvenel zählten 1945 "Du pouvoir" ("Über die Staatsgewalt"), 1955 "De la souveraineté" ("Über Souveränität") und 1963 "The Pure Theory of Politics" ("Reine Theorie der Politik"). Seltsam, daß dieser einst sehr angesehene Gelehrte, der viele Jahre an der Universität Paris lehrte, dort zu den Begründern der "Futurologie" zählte und Vorträge auf der ganzen Welt, in Yale, Berkeley, Cambridge und Oxford hielt, vom Lauf der Zeit so überspült wurde, zumindest aber, wie Mahoney richtig schreibt, "weitgehend unbekannt ist in den modischen intellektuellen Zirkeln". Dabei sind Jouvenels Einsichten zur manipulativen Macht des Verwaltungs- und Wohlfahrtsstaats heute von großer Aktualität.

Daß sich der Rezensent Mitte der achtziger Jahre für Jouvenel zu interessieren begann, war der Neugierde geschuldet, nachdem 1983 in Le Monde ein Bericht über eine bizarre Kontroverse um Jouvenel zu lesen war. Mahoney beschreibt die Affäre detailliert: Der israelische Historiker Zeev Sternhell, einer der großen Erforscher des Faschismus, hatte in seinem Buch "Ni droite, ni gauche" behauptet, Jouvenel sei mit der französischen faschistischen Bewegung verbunden gewesen. Jouvenel, dessen Mutter Jüdin war und der Anfang der vierziger Jahre in die Schweiz emigriert war, verklagte Sternhell wegen Rufmordes. Als Zeuge setzte Jouvenel auf seinen Freund Raymond Aron. Dieser machte eine sehr emotionale Aussage zugunsten Jouvenels und erlitt dann noch im Pariser Justizpalast einen tödlichen Herzanfall. Das Gericht entschied letztlich im Sinne Jouvenels und verurteilte Sternhell zu einer Schadensersatzzahlung.

Diese Affäre war es, die den Rezensenten zu Jouvenels Abhandlung "Über die Staatsgewalt" greifen ließ. Es ist ein wahrlich großes Werk, voll antietatistischer, antiegalitärer und konservativer Einsichten. Mit seinen langen historischen Entwicklungslinien überzeugt "Du pouvoir" noch heute als Standardwerk zur Entwicklung des modernen Staates und seines fast unbegrenzten Zugriffs auf die Bürger. In einem gewissen Sinne sind Jouvenels Ansichten bürgerlich-liberal, teilweise sehr aristokratisch und sogar vormodern. Seine Abneigung gegen den modernen Staat geht so weit, daß er selbst dem rauhen Rittertum als Gegengewicht gegen die frühe Bürokratie etwas abgewinnen kann.

Mahoney übertreibt den Einfluß des Katholizismus auf Jouvenels Denken, dessen Vater ein Anhänger des Hauptmann Dreyfuß und glühender Antiklerikaler gewesen war. Jouvenel stand in der Tradition französischer Denker, die nicht sonderlich kirchlich oder katholisch orientiert waren, sondern deren Sorge allgemein dem Vordringen des Staates und seiner Bürokratie galt. Montesquieu oder Benjamin Constant wären als Vorläufer zu nennen. Jouvenel setzte sich von den geifernd antikatholischen Liberalen ab und hoffte mit Alexis de Tocqueville, daß die geistlichen Institutionen wie auch andere Einrichtungen des "corps intermédiaire" dem Wachsen des "demokratischen" Staates gewisse Grenzen setzten könnten.

Wir verdanken Jouvenels kleiner Studie "The Ethics of Redistribution" (1951) einige der schärfsten Analysen der kulturzersetzenden Wirkung des modernen Wohlfahrtsstaats und seiner utilitaristischen Glücksmaschinerie. "Je länger man die Sache bedenkt, desto klarer wird, daß die Umverteilung tatsächlich weit weniger eine Umverteilung von freiem Einkommen von den Reichen zu den Armen bedeutet, wie wir uns einbildeten, sondern eine Umverteilung der Macht von den Individuen an den Staat." Die negativen ethischen Implikationen der nivellierenden Besteuerung gehen demnach weit über schädliche ökonomische Leistungsanreize hinaus. Letztlich, so Jouvenel, erdrosselt der umverteilende Staat die Wirtschaft, Kultur und Moral und züchtet Unkultur und Unmoral - eine provozierende Einsicht, die auch vielen europäischen Konservativen fremd ist.

Neben solchen bewunderungswürdigen Analysen hat Jouvenel auch vieles zu Papier gebracht, was Kritik verdient. In Fragen der aktuellen Politik war der gelehrte Franzose, um es zurückhaltend zu formulieren, ein etwas widersprüchlicher Geselle. In Frankreich unterstützte er 1936, zur Zeit der linken Volksfront, den irrlichternden Jacques Doriot, der von den Kommunisten zu den Nazis wechselte. Im Krisenjahr 1968 bewies Jouvenel erneut sein wirres Verständnis der zeitgenössischen Politik, als er den Studenten begeistert zur Seite sprang. Er schwankte also zwischen konservativen, liberalen und sozialistischen Ansichten. Eine denkbare Erklärung wäre, daß Jouvenel sich der Linken aus Gründen des Selbstschutzes anzunähern begann, um seine frühere Nähe zur äußersten Rechten vergessen zu machen.

Daniel J. Mahoney: Bertrand de Jouvenel: The Conservative Liberal and the Illusions of Modernity, ISI Books, Wilmington (Del.), USA, gebunden, 216 Seiten, 25 US-Dollar


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