© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/07 26. Januar 2007

Des Führers Gummilöwe
Die Biographie der Historikerin Kirstin Schäfer über Werner von Blomberg, Hitlers ersten Feldmarschall
Stefan Winckler

Der Reichskriegsminister Generalfeldmarschall Werner von Blomberg heiratete Anfang 1938, fast sechzigjährig, eine 24jährige Frau, die in den Akten der Sittenpolizei wegen pornographischer Fotos registriert war. Dies kostete ihn das Ministeramt (Blomberg-Fritsch-Affäre). 1945 internierte die amerikanische Armee ihn, der zu seinem Leidwesen keine Verwendung im Zweiten Weltkrieg mehr fand, in einem Nürnberger Hotel. Er hatte vor dem Internationalen Militärtribunal als Zeuge auszusagen. Im Jahr darauf starb Blomberg eines natürlichen Todes, freilich mag Verbitterung seine Krebserkrankung beschleunigt haben.

Kirstin A. Schäfer hat nun beim Berliner Historiker Hagen Schulze die erste geschichtswissenschaftliche Dissertation über diesen General vorgelegt. Für den aus einer traditionsreichen preußischen Offiziersfamilie stammenden Werner von Blomberg, geboren 1878 im pommerschen Stargrad, war der Beruf des Soldaten im Grunde vorgegeben. Fast nur im Generalstab und nur selten als Truppenkommandeur wirkend, erlebte er den "Ersten Weltkrieg vorwiegend als 'Papierkrieg'". Für seine Leistungen erhielt er den höchsten Orden Pour le Merite.

Der Autorin gelingt es mit der Darstellung von Blombergs Reichswehrkarriere, die unterschiedlichen Tendenzen im 100.000-Mann-Heer auf den Punkt zu bringen. Stand auf der einen Seite der "Traditionalist" Hans von Seeckt, versuchten auf der anderen Seite jüngere "Modernisierer" wie Blomberg im Massenzeitalter moderne, auch technisch stark weiterentwickelte Streitkräfte anstelle der Elitetruppe zu setzen. Der zukünftige Krieg werde anders sein, als die immer noch vorhandenen Anhänger Schlieffens annahmen, so Blomberg und sein Förderer Walter Reinhardt.

Blomberg setzte sich mit zahlreichen Fachartikeln auseinander, ohne aber selbst als Fachautor in Erscheinung zu treten. Er leitete die Zusammenarbeit der Reichswehr mit Sowjetrußland, wobei er sich über den östlichen Partner - nicht nur über militärische Details - fast überschwenglich äußerte. Lag in dieser selektiven Wahrnehmung nicht schon ein allzu großes Verständnis für totalitäre Herrschaft? Nicht nur in militärischen Fragen war Blomberg "modern". Kulturell aufgeschlossen, ein vorzüglicher Kenner deutscher und ausländischer Romane, war er intellektuell sehr neugierig, geradezu auf der Suche nach Orientierung in den krisengeschüttelten zwanziger Jahren.

So stieß er, der sich schneller als seine Offizierskameraden begeistern ließ, auf Theosophie, Anthroposophie, nicht zuletzt auf die Lehren Graf Keyserlings und Wolfgang Muffs. Hingegen war sein Christentum schwach entwickelt, wodurch er sich vom traditionellen preußischen Offizier unterschied. War durch die mangelnde ethische Bindung auch ein biegsamer Charakter der äußerlich "blendenden Erscheinung" Blomberg vorgegeben, wie ihn der mit Stahlhelm Posierende am "Tag von Potsdam" am 21. März 1933 darstellte? Eine wichtige Frage, die vielleicht nicht abschließend beantwortet werden kann.

Mit Blombergs Namen ist die Öffnung der bislang demonstrativ unpolitischen Reichswehr gegenüber der nationalsozialistischen Lehre und Symbolik verknüpft, bis hin zur Entlassung jüdischer Soldaten Anfang 1934. Die faszinierende Wirkung der Person Hitlers und der Veränderungen 1933/34 auf Blomberg wurde nicht einmal durch den Mord an seinen Generalskameraden Kurt von Schleicher und Ferdinand von Bredow erschüttert, zumal die Weiterentwicklung der Reichswehr zur Wehrmacht rasch voranschritt und sich so Blombergs Ziele verwirklichten.

Der gleiche Blomberg fühlte sich mehrfach durch einen Händedruck seines Idols gar von Erkältungen geheilt, wie nicht Schäfer, sondern Joachim Fest in seiner Hitler-Biographie vermerkte. Er galt selbst bei Kameraden als der "Gummilöwe", der der NSDAP nachgibt oder gar im vorauseilenden Gehorsam handelt. So verantwortete er als Reichswehrminister die Vereidigung der Soldaten auf den "unbedingten Gehorsam" gegenüber dem "Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler" am 2. August 1934. Sehr beliebt war der schwärmerische "Hitlerjunge Quex", so ein Spitzname in Offizierskreisen, also nicht.

Nach der - höflich ausgedrückt - unstandesgemäßen Ehe 1938 war Blomberg nicht mehr zu halten. Möglicherweise galt er Hitler mittlerweile als zu weich und unsicher, zumal Blomberg Bedenken gegen Hitlers Eroberungspläne aussprach, wie sie in der Hoßbach-Niederschrift nachweisbar sind. Typisch für den Totalitarismus verschwand sein Name aus den Massenmedien.

In Nürnberg widersprach Großadmiral Erich Raeder Blombergs Aussage, es sei vorherrschende Meinung der Generalität gewesen, die Frage des polnischen Korridors müßte eines Tages "nötigenfalls mit Waffengewalt" gelöst werden: "Ich habe niemals von einer solchen Auffassung gehört. Mir gegenüber hat der General von Blomberg niemals so etwas geäußert." Auch Wilhelm Keitel war enttäuscht, als Blomberg ihn als "seiner Stellung nicht gewachsen" einschätzte, Rundstedt resümierte über Blombergs Einstellung zum Nationalsozialismus: "Wir sind immer unpolitisch geblieben. Es gab natürlich aktive Nationalsozialisten, wie Reichenau und Blomberg, in der Armee. Die große Masse war politisch absolut gleichgültig." Blombergs Aussagen und seine Isolierung unter den Militärs hätten in der vorliegenden Monographie noch etwas stärker herausgearbeitet werden können.

Das Buch ist auf breiter Quellenbasis durchweg spannend geschrieben. Eine Reihe von Fotos rundet das Werk ab. Weitgehend enthält es sich der Wertungen und Klischees. Insofern verhält sich die Autorin wie ein ermittelnder Kriminalbeamter, statt sich als Richter, Ankläger oder Verteidiger zu gebärden. Genauso sollte es in der Geschichtswissenschaft auch sein.

Foto: Generaloberst Hans von Seeckt (r.) mit Reichskriegsminister von Blomberg, 22. April 1936: Traditionalist und Hitlerjunge Quex

Kirstin A. Schäfer: Werner von Blomberg - Hitlers erster Feldmarschall. Eine Biographie. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2006, broschiert, 287 Seiten, Abbildungen, 29,90 Euro


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