© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/07 02. Februar 2007

Vage Versprechen
Stammzellforschung: Das Recht auf Leben darf nicht relativiert werden
Manfred Libner

Seit Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) im vergangenen Jahr grünes Licht für die embryonenverbrauchende Stammzellforschung auf europäischer Ebene gab, war der wachsende Druck der Wissenschaftslobby im Inland abzusehen. Durch die Zustimmung der Ministerin zum kürzlich vorgestellten 7. EU-Forschungsrahmenprogramm für die Jahre 2007 bis 2013 fließen auch deutsche Steuergelder in Forschungsbereiche, die in Deutschland per Gesetz (noch) verboten und unter Strafe gestellt sind. So etwa durch das Stammzellgesetz, das besagt, daß im Ausland erzeugte, überzählige Embryonen nur dann zu Forschungszwecken importiert werden dürfen, wenn sie vor dem Stichtag 1. Januar 2002 entstanden sind.

Der Stichtag ist ein zentraler Bestandteil des Stammzellgesetzes, weil durch ihn verhindert wird, daß Embryonen extra für die Forschung erzeugt und getötet werden und ein Markt für Embryonen entsteht, der für entsprechende Nachfrage sorgt. Statt den Widerstand auf europäischer Ebene aufrechtzuerhalten und für die Übernahme der besseren deutschen Lebensschutzbestimmungen zu werben und diese zu verteidigen, sind durch das Einknicken der Ministerin die deutschen Schutzstandards massiv in Gefahr geraten. Schließlich geht es um viel Geld, das jetzt zur Verteilung ansteht.

Der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) wäre es am liebsten, die Stichtagsregelung fiele ganz weg. Sie verweist auf jene Staaten in der Europäischen Union, die keine Hemmungen haben, menschliche Embryonen für die Forschung zu verwerten. Der FDP-Gesetzentwurf zur embryonalen Stammzellforschung, der in dieser Woche in den Bundestag eingebracht wird, macht sich die Forderungen der DFG zu eigen und postuliert damit den Vorrang der Forschungsfreiheit vor dem Lebensrecht. Gleichzeitig begrüßte Ministerin Schavan demonstrativ den fatalen Vorschlag des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, den Stichtag zu verlegen, damit den Forschungsinteressen besser entsprochen werden kann.

Das gemeinsame Ziel weiter Teile der Politik und der Wissenschaftslobby scheint darin zu bestehen, einer ethisch fragwürdigen Forschung zum Durchbruch zu verhelfen. Das zentrale Argument zielt dabei auf den Wunsch, eines Tages Menschen mit bislang unheilbaren Krankheiten kurieren zu können. Über das Wunschstadium ist dieses Vorhaben aber noch nicht hinausgekommen. Die Grundlagenforschung etwa soll nach Schätzungen erst in rund zwanzig Jahren anwendbare Resultate bringen.

Um so bemerkenswerter sind die aktuellen Ergebnisse einer repräsentativen Meinungsumfrage, die jetzt der Bundesverband Lebensrecht (BVL) vorgelegt hat. Zwei Drittel der Deutschen sind demnach für die Aufrechterhaltung der hohen Schutzstandards, die es hierzulande verbieten, einen menschlichen Embryo für einen wissenschaftlichen oder medizinischen Zweck zu erzeugen und zu zerstören. Dieses Ergebnis ist auch deshalb überraschend, weil die Wissenschaftslobby in der öffentlichen Debatte die Erwartungen auf Heilungschancen für allerlei Krankheiten euphorisch hochgeschraubt hat. Wer würde nicht gerne Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer oder Multiple Sklerose heilen wollen? Aber rechtfertigt das eine menschenverbrauchende Forschung? Denn die hat durch den Forschungsbetrug des südkoreanischen Stammzellforschers Hwang Woo-suk, aber auch durch die sich abzeichnende Tendenz zur Bildung bösartiger Tumore bei Versuchen mit embryonalen Stammzellen einige Rückschläge erlitten und die Euphorie in der Folge nicht mehr ganz so aggressiv angeheizt.

Warum also investiert man die Gelder statt dessen nicht verstärkt in die ethisch unbedenkliche Forschung mit adulten Stammzellen, die ja bereits positive Ergebnisse nachweisen konnte? Damit hätte Deutschland die Chance, sich an die Weltspitze zu setzen. Wenn klar ist, daß menschliches Leben mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt und der Mensch sich als Mensch und nicht zum Menschen entwickelt, dann darf das Grundrecht auf Leben und die Würde des Menschen durch embryonenverbrauchende Forschung nicht in Frage gestellt werden.

Die seit Jahren zu beobachtende Tendenz, Grundrechte, insbesondere das Recht auf Leben, auszuhöhlen, kann letztlich nicht ohne Auswirkung auf das gesamte Staatswesen bleiben. Wenn Grundrechte so lange uminterpretiert werden, bis sie ins politische Tagesgeschäft passen, dann ist das der Abschied vom Rechtsstaat. Denn was nützt es, wenn die Grundrechtsartikel des Grundgesetzes zwar dem Zugriff parlamentarischer Mehrheiten entzogen sind, zugleich aber durch relativierende Interpretation nach und nach ausgehöhlt und faktisch zur Disposition gestellt werden?

Da man sich in der pragmatisch orientierten Politik weniger an ethischen Grundsätzen denn an Umfrageergebnissen orientiert, bleibt zu hoffen, daß in diesem Fall die Übereinstimmung von Mehrheit und Ethik ihre Wirkung nicht verfehlt. Es kommt darauf an, daß man für vage Gesundheitsversprechen nicht über Leichen geht. Das sollte nicht nur die Politik einsehen, sondern zuallererst auch die Wissenschaftslobby.

 

Manfred Libner ist Geschäftsführer der Stiftung Ja zum Leben in Meschede.


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