© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/07 02. Februar 2007

"Ein Gefühl der Überlegenheit"
Der Islamwissenschaftler Rainer Glagow über den Zusammenhang von Islam und der Gewalt jugendlicher Einwanderer
Moritz Schwarz

Herr Dr. Glagow, spielt die islamische Identität tatsächlich eine so wichtige Rolle für die Gewalt moslemischer Jugendlicher, wie Frau Mergen* angibt?

Glagow: Für die Gewaltbereitschaft muslimischer Jugendlicher gibt es natürlich eine Vielzahl von Gründen, was Frau Mergen*, die ich aus vielen Jahren der Zusammenarbeit gut kenne, ja auch nicht in Abrede stellt. Von Theologie und Lehre des Islam dürften die problematischen Schüler oder die auf der Straße herumlungernden Jugendlichen zwar so gut wie keine Ahnung haben. Allerdings vermittelt der Islam seinen Anhängern in der Tat ein stark ausgeprägtes Überlegenheits- und Auserwähltheitsgefühl, und dieses mag vielen zur Kompensation ihrer Ressentiments und Minderwertigkeitskomplexe dienen.

Der Berliner "Tagesspiegel" wagte es vergangene Woche als eines der ersten etablierten Blätter, in einem spektakulären Kommentar zu dem beinahe tödlichen Angriff auf einen Polizisten von "Rassismus gegen Deutsche" zu sprechen (siehe Beitrag Seite 6). Gibt es tatsächlich einen "Rassismus" unter den muslimischen Einwanderern?

Glagow: So wie manche Medien leichtfertig und vielleicht unwissenschaftlich den Begriff "Rassismus" gebrauchen, ist das bei diesen Jugendlichen durchaus zutreffend. Jedoch wissenschaftlich betrachtet: Das von mir angesprochene islamische Überlegenheitsgefühl ist an sich nicht rassistisch, sondern bezieht sich zuerst einmal auf die hierarchische Rangfolge der Religionen, der zufolge der Islam dem Christentum - und Judentum - per se überlegen ist. Ungebildete und entwurzelte orientalische Jugendliche richten Protest und Ablehnung sowohl gegen Nichtmuslime als auch ganz allgemein gegen Deutsche oder das Deutschsein. Deutsche Sitten und Gebräuche, Werte und Verhaltensregeln werden nicht akzeptiert. Stärke erweist sich, wenn man sie mißachtet oder verletzt. Deutsche Mitschüler und Jugendliche gleichen Alters gelten in den Augen der orientalischen Machos in der Regel als Schwächlinge und Softies. Deutsche Mädchen genießen den negativen Ruf, daß man sie "leicht haben" könne. Bei vielen türkischen Jugendlichen kommt zu den islamischen Impulsen noch der völkische Nationalismus, die Einzigartigkeit des Türkentums, hinzu, dessen "Verunglimpfung" in der Türkei bekanntlich bestraft wird.

Müßte der islamische Glaube, der ja auch die Aufforderung zum Frieden kennt, diese Jugendlichen nicht bremsen?

Glagow: Ich bezweifele, ob es in der religiösen Praxis des Islam etwas Vergleichbares wie die christliche Seelsorge gibt. Die Friedens- oder aber Gewaltbereitschaft des Islam hängt von der jeweiligen Interpretation des Korans, der Tradition des Propheten oder der Schari'a, des religiösen Gesetzes, ab. Ich kenne keine besonderen Anstrengungen der islamischen Gemeinden in Deutschland, der Jugendgewalt ernsthaft mit Argumenten der Religion zu wehren. Lippenbekenntnisse genügen nicht. Die Muslime sind immer Opfer, nie Täter.

Religion, Staat und Recht stehen im Islam in engem Zusammenhang. Gemeinhin geht man davon aus, das spiele nur für islamische Fundamentalisten eine Rolle. Doch prägt diese kulturelle Vorstellung nicht auch gewöhnliche muslimische Jugendliche?

Glagow: Der Islam steht in der Tat für ein Ganzheitssystem, das von Allahs Ordnung bestimmt wird, und diese Ordnung erhebt den Anspruch, alle Umstände des menschlichen Lebens zu regeln. Aus dieser Sicht ist das westliche System unterlegen, weil es menschlichen Ursprungs ist. Ob den Mitgliedern der orientalischen Jugendgangs solche Grundlagen im einzelnen bekannt sind, ist zu bezweifeln. Aber sie gehören in der Tat zum geistigen Hintergrund von Muslimen, und man muß vermuten, daß sie in den Koranschulen und im Religionsunterricht nicht verschwiegen werden.

Frau Mergen* sagt uns quasi "libanesische Verhältnisse" voraus.

Glagow: Nicht nur in Büchern wie "Der Krieg in unseren Städten", "Hurra wir kapitulieren!" von Henryk M. Broder oder "Von Deutschland nach Absurdistan" von Paul M. Stern und den Schriften des Nestors der amerikanischen Islamwissenschaft, Bernard Lewis, wird eine solche Entwicklung vorausgesagt. Diese ist vor allem eine Folge der Demographie. Bereits im Jahr 2005 kamen auf die 19 Prozent Migranten in Deutschland 35 Prozent der hier geborenen Kinder. Im Jahr 2025 werden von 100 Neugeborenen 65 Migranten und Ausländer sein - und in ihrer Mehrheit Muslime! Dann wird es, folgt man einer Vorhersage des Berliner Tagesspiegels, zwei parallele Gesellschaften in Deutschland geben, eine islamisch geprägte und eine in welchem Zustand auch immer befindliche (noch) nichtislamische. Selbst wenn man sich äußerstem Zweckoptimismus verschreibt, müßte man begreifen, daß der Einfluß des Islam Deutschland und Europa grundlegend und entgegen ihren ursprünglichen Identitäten verändern wird. Folglich wird der Antagonismus von zwei unterschiedlichen Konzepten von Kultur und Identität zu einer unvermeidlichen und konfliktgeladenen Realität. Und es könnte zur Tragödie des Alten Kontinents werden, daß wir der religiös-kulturellen Herausforderung des Islam keine eigenen spirituellen Werte mehr entgegensetzen können oder wollen.

 

Dr. Rainer Glagow war bis Ende 2006 Leiter der Hanns-Seidel-Stiftung in Berlin. Er studierte Islamwissenschaften, Geschichte und vergleichende Religionswissenschaft in Bonn, lehrte drei Jahre an der Universität Kairo und war sieben Jahre Vize-Direktor des Deutschen Orientinstituts in Hamburg. Geboren wurde Glagow 1941 in Frankfurt an der Oder.


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