© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/07 02. Februar 2007

Die Familie als Leitbild hat ausgedient
Österreich: Die neue Frauenministerin findet "Kampfmütter nervend" / Unmut in der einst konservativen ÖVP
Ernst Brandl

Österreich hat seit Mitte Januar eine neue Regierung: eine rot-schwarze Notgemeinschaft, deren innerer strategischer Kern ein subtiles Arrangement der Wahlverlierer ist. Denn die ÖVP verlor am 1. Oktober acht Prozentpunkte und sackte auf 34,3 Prozent ab. Die bis dahin oppositionelle SPÖ wurde mit lediglich mit 35,3 Prozent nur ganz knapp stärkste Partei. SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer sucht nun mit dem Kanzlerbonus den Platz an der Wählersonne, die abgewählte ÖVP gibt sich nach dem dreimonatigem Koalitionsverhandlungsmarathon unter Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel als eigentlicher Sieger, schließlich wanderten alle Schlüsselressorts (Finanz-, Innen- und Außenministerium) zu seiner Volkspartei (JF 4/07).

Seitdem beschäftigen sich die österreichischen Politkommentatoren mit der neuen Ministerriege. Die SPÖ konnte dabei in ihrer linken Klientel mit einem bekennenden Wehrdienstverweigerer als neuem Verteidigungsminister "punkten". Der 42jährige Magister Norbert Darabos hat inzwischen aber nicht das geringste Problem damit, anderen den Schießbefehl zu geben - Auslandseinsätze inklusive.

Die immer noch als "konservativ" geltende ÖVP wollte da wohl nicht zurückstehen. Innerhalb von wenigen Stunden zauberte man eine neue Gesundheits- und Frauenministerin aus dem Hut: die "Gesundheitsmanagerin" Andrea Kdolsky.

Die 44jährige Juristin und promovierte Medizinerin, bislang Geschäftsführerin der niederösterreichischen Landeskliniken-Holding, hat allerdings recht ungewöhnliche Ansichten für eine Ministerin, die auch für Familienpolitik zuständig ist. Bereits in den ersten Tagen ihrer verantwortungsvollen Tätigkeit sah sie sich veranlaßt, im saloppen Plauderton über ihr "Wohlfühlgewicht", die geliebte "Zwischendurchzigarette", über "Familienglück auch ohne Kinder" und über die "politische Verklärung der Mutterschaft" zu dozieren.

Letztere Bedenken hatte sie in einem bislang kaum beachteten Büchlein der "Kommunikationsberaterin" Birgit Kofler mit dem Titel "Kinderlos, na und? Kein Baby an Bord" veröffentlicht. Die Herausgeberin zitiert Kdolsky als Gewährsperson für ihren publizistischen Kampf gegen "Kampfmütter, die nerven". Kofler widerspricht ausdrücklich der These, daß die verbreitete Kinderlosigkeit für das drohende Rentendesaster verantwortlich sei. Im Gegenteil: Berufstätige Frauen konsumierten nicht nur deutlich weniger Sozial- und Transferleistungen, sondern sie trügen mit ihren Steuern und Sozialabgaben ganz wesentlich zur Finanzierung der öffentlichen Ausgaben bei.

Ministerin Kdolsky sieht ob solcher Aussagen - und beißender Kritik aus den eigenen ÖVP-Reihen - freilich keinen Grund zur Relativierung. Vielmehr versteht sie sich damit "als unkonventioneller Teil der Volkspartei".

Dabei böte etwa das ÖVP-Grundsatzprogramm aus dem Jahre 1995 über volksparteiliche "Positionen" und Grundsätze" durchaus "konventionelle" Auskunft. Zum Thema Familie heißt es dort etwa: "Die Familie mit zwei Elternteilen und Kindern ist unser Leitbild. Diese Form der Familie hat sich bisher bewährt und die Hauptverantwortung für das Aufwachsen der Kinder getragen. Es ist die Aufgabe der Familienpolitik, Bedingungen und Wahlmöglichkeiten zu schaffen, damit Frauen, Männer und Kinder ihre Sehnsucht nach Familie und Partnerschaft im Lebensalltag verwirklichen können. Dabei benötigen wir ein neues Verständnis von Familienkultur."

Lebensgemeinschaften und Patchwork-Familien aller Art

Diesem ÖVP-Leitbild der "Familie mit zwei Elternteilen und Kindern" konnte Kdolsky aus gesundheitlichen Gründen nicht nachkommen. Vielleicht stürzt sie sich deshalb auf den Passus im ÖVP-Grundsatzprogramm, der ein "neues Verständnis von Familienkultur" einfordert, schließlich haben wir zwar "klare Ideologien, aber es ist notwendig, sich weiterzuentwickeln", so die Ministerin. Daher fordert sie in einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung auch gleich die "rechtliche Gleichstellung für Homosexuelle" in "wohnungsrechtlichen, mietrechtlichen, erbrechtlichen, oder steuerrechtlichen Fragen". Auch zu Themen wie "frauenspezifische Legistik", "Grundsatzfragen der Migrantinnen" oder "Sozio-ökonomische Gleichstellung" wird man künftig bestimmt noch einiges zu hören bekommen.

Es mehren sich also die ÖVP-Stimmen, die dafür eintreten, daß Familienpolitik auch Lebensgemeinschaften und Patchwork-Familien aller Art einbeziehen müsse. Andrea Kdolsky sei, so ein ungenannter ÖVP-Funktionär, genau die Richtige, um das zu transportieren, freute sich der linksliberale Wiener Standard. Hinter Kdolskys Aussagen steckt also offenbar System.

Es blieb der deutschen Journalistin Eva Herman vorbehalten, die Ministerin in einem Interview mit der Wiener Boulevard-Zeitung Kurier zu kritisieren: "Wenn man Familienministerin ist, übernimmt man eine enorme Verantwortung für alle Menschen im Land. Es gibt von Frau Kdolsky Aussagen, die eindeutig gegen Kinder zielen", so die Buchautorin des "Eva-Prinzips" (JF 38/06).

Zu Kdolskys Problem mit der "politischen Verklärung der Mutterschaft" meinte die frühere Tagesschau-Sprecherin folgerichtig: "So etwas ist unverantwortlich. Die Frauen Österreichs orientieren sich an solchen Aussagen. Wenn eine Familienministerin sagt, daß sie in ihrer Partnerschaft glücklich ist, keine Kinder zu haben, weil Kinder schon so manche Partnerschaft auseinandergebracht haben, kann ich mir nur noch die Haare raufen".

Beim Kurier raufte sich freilich keiner die Haare. Auch nicht bei der ÖVP.Mit dem subtilen, kinder- und familienfeindlichen Feminismus der Ministerin Kdolsky trachtet die ÖVP nämlich neue Zeitgeist-Wählerschichten zu gewinnen. Ob so die verlorengegangen acht Wählerprozente zur Volkspartei zurückkehren, darf bezweifelt werden.

Birgit Kofler: Kinderlos, na und? Kein Baby an Bord, Orac-Verlag, Wien 2006, gebunden, 192 Seiten, 16,90 Euro

Foto: Ministerin Kdolsky auf Säuglingsstation in Wiener Krankenhaus: "Familienglück auch ohne Kinder"


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