© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/07 02. Februar 2007

Die Rivalität in Nordostasien wächst
Japan: Der Angstgegner China treibt das Land in ein noch engeres Bündnis mit den USA / Wenig Freunde
Albrecht Rothacher

Kaum hatte er das seit 1954 bestehende Verteidigungsamt zu einem vollwertigen Ministerium aufgewertet, brach Premier Shinzo Abe im Januar nach Berlin, London, Paris und Brüssel auf. Es ging ihm um zweierlei: Die Beziehungen zur Nato trotz französischer Vorbehalte zu festigen und das EU-Waffenembargo gegen China aufrechtzuerhalten.

Sicherheitsthemen sind für japanische Regierungschefs bei Europareisen eine Neuheit. Nach 1945 war es ihnen immer nur um Handelsfragen gegangen: mehr Zugang für Kugellager, Autos oder Elektronik. Jetzt ängstigt das rücksichtslose Wirtschaftswachstum (JF 50/06), der Hochrüstungskurs und der aggressive Nationalismus des absehbar übermächtigen chinesischen Nachbarn derart, daß Japan auch jenseits der USA neue Bundesgenossen sucht: Australien, Indien und Europa (JF 23/06).

In Berlin versicherte Kanzlerin Angela Merkel Abe, die EU "denke nicht daran", das 1989 eingeführte Waffen­embargo aufzuheben. In London bestand Tony Blair auf einer harten Haltung Tokios gegenüber dem Iran, den man als ein viel geringeres Sicherheitsrisiko einschätzt als das benachbarte Nordkorea. Immerhin hat Japan seinen Besitzanteil an dem riesigen iranischen Azedegan-Ölfeld auf US-Geheiß von 75 auf zehn Prozent heruntergefahren.

Nato soll Atombewaffnung Nordkoreas verhindern helfen

Präsident Jacques Chirac pries die Freundschaft mit Japan zwar in den höchsten Tönen. Dennoch ist Paris, das früher Taiwan mit Fregatten und Mirage-Bombern beliefert hatte, mittlerweile zum Hauptbetreiber einer Aufhebung des Waffenembargos mutiert. Beim Nato-Gipfel in Riga hatte Frankreich US-Pläne blockiert, die Nato zum "Weltbündnis" zu machen (und damit Länder wie Australien und Japan einzuschließen).

In Brüssel konnte Abe den Wunsch vortragen, die Nato möge mithelfen, die Atombewaffnung Nordkoreas "mit allen Mitteln" zu verhindern. Dabei geht es Japan und den USA um eine Seeblockade gegen Rüstungsgüter und die Luxusimporte, mit denen sich Staatschef Kim Jong-il amüsiert und seine Generale bei Laune hält.

Shinzo Abe war 2006 mit dem Programm, Japan 60 Jahre nach Kriegsende endlich zu einer "normalen Nation" werden zu lassen, zum Nachfolger des ebenso patriotischen Junichiro Koizumi gewählt worden. Ein neues Schulgesetz definiert den Patriotismus der japanischen Jugend als Bildungsziel und verpflichtet die Schulen, Respekt für Japans Geschichte und Kultur zu vermitteln. Bewaffnete Auslandseinsätze sollen zur Norm werden. Bislang mußten die 550 Bausoldaten, die Japan in den Irak schickte, von britischen Einheiten gut bewacht werden. Mittlerweile sind sie zwar zur allgemeinen Erleichterung wohlbehalten wieder nach Japan zurückgekehrt, doch solche Einsätze sind der Preis, den Tokio für den US-Nuklearschutz und das geplante gemeinsame Raketenabwehrsystem zahlen muß.

Neben Nordkorea ist für Japan China der potentielle Hauptgegner. Die Volksrepublik hat 2,5 Millionen Soldaten. Dazu kommen noch 1,4 Millionen Mann an kasernierter Volkspolizei zur Niederschlagung innerer Unruhen. Der chinesische Militärhaushaushalt liegt offiziell bei 14 Milliarden Dollar, real aber zwischen 30 bis 40 Milliarden Dollar, weil die Produktion der staatlichen Waffenschmieden unberücksichtigt bleibt. Dazu importiert China jährlich für zwei Milliarden Dollar die modernsten Geräte der russischen Rüstungsindustrie - ein Wachstumsmarkt, dessen Volumen um 15 Prozent pro Jahr wächst.

Zielscheibe der chinesischen Hochrüstung ist zunächst die Rebelleninsel Taiwan, auf die jetzt schon 600 Kurzstreckenraketen gerichtet sind. Auch wenn Chinas Stärke für eine amphibische Invasion noch nicht ausreicht, kann eine Seeblockade und der Raketenbeschuß die Wirtschaft des von Welthandel und Ölimporten völlig abhängigen Taiwan in wenigen Wochen in die Knie zwingen. Die chinesische Führung hat angekündigt, bis 2020 wolle sie das Taiwan-Problem "bereinigen". Der Kontrolle der Schiffahrtslinien gelten auch die chinesischen Gebietsansprüche auf die Paracel- und Spratly-Inseln und die Natunas im südchinesischen Meer.

Mit US-Hilfe entsteht ein neues Raketenabwehrsystem

Diese liegen bis zu 2.000 Kilometer von der chinesischen Küste entfernt und werden mit mehr Berechtigung von Vietnam, den Philippinen, Malaysien, Brunei oder Indonesien beansprucht. 1974 und 1988 lieferte die chinesische Marine deswegen den unterlegenen Vietnamesen Seegefechte. Gegenüber Japan beansprucht China die zwischen Okinawa und Taiwan gelegenen Senkaku-Inseln (chinesisch: Diaoyu-tai), unter denen wie auch im Südchinesischen Meer Öl- und Erdgasvorkommen vermutet werden. Sowohl Japan wie China haben für das gleiche Meeresgebiet schon die Explorationsrechte vergeben. Wegen der Überlegenheit der japanischen Kriegsmarine weicht die chinesische Volksmarine noch jeder direkten Konfrontation aus. Der Propagandakrieg um die unbewohnten Felsenriffe ist dagegen schon voll entbrannt.

In diesem Zusammenhang ist auch der Propagandakrieg um die Deutungshoheit über den Zweiten Weltkrieg und seine Vorgeschichte zu sehen. Die öffentlich gelenkte Hysterie über die Besuche der japanischen Premiers am Yasukuni-Schrein, wo der 2,5 Millionen japanischen Kriegstoten gedacht wird, wird daher weiter für anti-japanische Krawalle und Haßparolen genutzt. Bislang hat Abe als Premier den Schrein noch nicht besucht. Nur deshalb konnte er im Oktober seinen Pekingbesuch absolvieren, der Koizumi stets verwehrt wurde. Zum Zeitpunkt des nordkoreanischen Atomtests nutzte Abe die Gunst der Stunde, um in Peking für eine härtere Gangart gegenüber dessen widerspenstigem Schützling zu plädieren. Immerhin könnte ein mit US-Hilfe in Japan stationiertes Raketenabwehrsystem die chinesische Interkontinentalraketenrüstung Makulatur werden lassen.

In jener höchst angespannten Weltregion wollen nun etliche Länder - neben Frankreich auch auf etwas diskreteren Wegen Israel und Großbritannien - mit den auf Hochrüstungskurs befindlichen Chinesen Waffengeschäfte betreiben. Dabei geht es jedoch um das nordost­asiatische Kräftegleichgewicht empfindlich treffende Hochtechnologiewaffen, die die Chinesen selbst nicht herstellen und die Russen nicht verkaufen können. Chirac wiegelte im EU-Ministerrat ab, man wolle ja gar nichts verkaufen. Es gehe nur um die Aufhebung einer 1989 (wegen des Tiananmen-Massakers) eingeführten "Diskriminierung" Chinas. Militärisches Gerät werde man wegen des strengen EU-Verhaltenskodexes in Spannungsregionen wie den Fernen Osten ohnehin nie exportieren.

So kommt es, daß wegen des einzig verbliebenen Widerstandes der Skandinavier (Schweden und Dänemark) China nur die Erfüllung von Menschenrechtsfragen wie die Abschaffung der Umerziehungsarbeitslager und die Freilassung politischer Gefangener zur Auflage gemacht wird. China denkt natürlich nicht daran - und eine ernsthafte Diskussion der strategischen Folgen europäischer Waffenexporte findet in der EU ohnehin nicht statt. Mit solchen "Verbündeten" in Europa kann man den Japanern und anderen Asiaten nicht verdenken, daß sie die US-Amerikaner, die im Westpazifik immerhin seit Jahrzehnten die 7. Flotte kreuzen lassen, für den verläßlicheren Bundesgenossen halten.

Foto: Japanische Marine bei Manöver: Taiwan-Problem "bereinigen"


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