© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/07 02. Februar 2007

BRIEF AUS BRÜSSEL
Mißachtung des Souveräns
Andreas Mölzer

Kürzlich traf in Madrid die "Versammlung der Freunde des Verfassungsvertrags" zusammen, um darüber zu beraten, wie dieses EU-Regelwerk am besten in Kraft gesetzt werden könne. Denn, so die "Verfassungsfreunde" aus 20 EU-Ländern, 18 Staaten hätten den Vertrag ratifiziert, so daß eine Zweidrittelmehrheit vorliege. Bewußt verschwiegen wird dabei, daß die EU-Verfassung nur nach der Ratifizierung durch alle 27 Staaten in Kraft treten kann. Um zusätzliche Kalamitäten zu vermeiden, hat Brüssel bezüglich der EU-Neulinge Rumänien und Bulgarien vorsorglich den Weg gewählt, daß diese beiden Länder mit dem Beitritts- auch gleich den Verfassungsvertrag ratifizieren.

Das Madrider Treffen zeigte erneut die Abgehobenheit der politischen Pseudo-Elite der EU. Die einmal gefaßte Entscheidung ist sakrosankt und soll, wie das Madrider Motto suggerierte, einem "besseren Europa" dienen. Bei soviel Selbstherrlichkeit überrascht es denn nicht, daß die Einwände der Kritiker vom Tisch gewischt werden und der Bürger, der Souverän, nach Möglichkeit erst gar nicht gefragt wird. Denn dieser könnte sich ja, wie sich in Frankreich und den Niederlanden zeigte, "falsch" entscheiden.

Wie groß die Angst der EU-Polit-Nomenklatura vor dem Volk ist, bewies Frank-Walter Steinmeier. Der deutsche Außenminister flehte die französischen Präsidentschaftskandidaten an, die EU-Verfassung nicht zu einem zentralen Wahlkampfthema zu machen. Denn es ist zu erwarten, daß all die Versuche zur Wiederbelebung der EU-Verfassung, denen die Franzosen 2005 eine klare Abfuhr erteilt hatte, die politische Diskussion in der "Grande Nation" in diesem Frühjahr beherrschen werden. Steinmeiers Aussage zeigt aber auch, welches Denken in den Köpfen der Eurokraten vorherrscht: Die zu Untertanen degradierten Bürger haben die Entscheidungen Brüssels gefälligst mit Dankbarkeit anzunehmen, und jeder Widerstand wird als "Majestätsbeleidigung" aufgefaßt. Neben den Franzosen und Niederländern sollen mit dieser Politik auch die anderen Verfassungsgegner vor allem in Polen, Tschechien und Großbritannien unter Druck gesetzt werden. So schrieb der rechtsliberale Staatspräsident Václav Klaus in einem Beitrag für die auflagenstärkste tschechische Zeitung Mláda Fronta Dnes, "eine kleine, organisierte, sehr stark motivierte Gruppe von Europäern siegt über hundert Millionen Menschen, daß es um nichts Grundsätzliches geht". Das Ergebnis sei die heutige EU.

Natürlich wissen die Bürger genau, daß es bei der EU-Verfassung um Grundsätzliches, um nichts mehr und nichts weniger als die Freiheit der Staaten Europas und um ihr demokratisches Recht auf Mitbestimmung geht. Und das Verhalten des EU-Politestablishments, einen einmal gefaßten Beschluß umzusetzen, koste es, was es wolle, wird den EU-Verdruß in ungeahnte Höhen treiben.

Der Schaden, der Europa dadurch entsteht, ist gewaltig. Die Begriffe "Europa" und "europäische Einigung", die nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst durchwegs positiv besetzt waren, könnten von den Menschen bereits in einer nahen Zukunft als gefährliche Drohung aufgefaßt werden. Daher ist es höchste Zeit, die EU-Verfassung im Orkus der Geschichte zu entsorgen und einen Grundlagenvertrag für einen Bund der freien Staaten und Völker Europas auszuarbeiten.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit" und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.


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