© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/07 02. Februar 2007

Viel gehaßt, viel geliebt
Politische Zeichenlehre XV: Die Fahne von Iwo Jima
Karlheinz Weissmann

In seinem derzeit in den Kinos laufenden Film "Flags of our fathers" entlarvt Regisseur Clint Eastwood einen amerikanischen Mythos oder genauer: den symbolischen Ausdruck eines amerikanischen Mythos. Das berühmte Bild von den US-Soldaten, die auf Iwo Jima das Sternenbanner hißten, gehört zu den amerikanischen Ikonen und zu den berühmtesten Pressefotos des 20. Jahrhunderts. Wenig kann man dem an die Seite stellen, auch nicht das Bild des Sowjetsoldaten mit der roten Fahne auf dem zerstörten Reichstag; übrigens ebenfalls eine "gestellte" Aufnahme.

Ein Grund für die außerordentliche Wirkung des Bildes von der Flaggenhissung liegt in der Bekanntheit des Sternenbanners. Es dürfte die bekannteste Nationalflagge überhaupt sein, in aller Welt ein Symbol amerikanischer Macht, deshalb viel gehaßt, aber von der überwältigenden Mehrzahl der US-Bürger geliebt und verehrt. Die Ursache für die besondere Art von Flaggenpatriotismus liegt weniger in der Entstehung der Stars and Stripes während des Unabhängigkeitskrieges als in der Demokratisierung der US-Verfassung während des 19. Jahrhunderts.

Damals wurden das Sternenbanner in Wahlkämpfen zu einem bevorzugten Propagandamittel, es diente - im Ganzen oder in seine Elemente zerlegt - als Dekoration von Festsälen, Tribünen, Gebäudefassaden, Kutschen und Eisenbahnwaggons, aber man versah es auch mit Parolen und dem Namen oder Konterfei eines Kandidaten. Dadurch wurde das Flaggenbild selbst immer bekannter, tauchte als Gegenstand der Volkskunst auf, erschien auf billigen Drucken, als Schnitzerei, auf Grabsteinen, Tätowierungen und selbstverständlich in jeder Form von Werbung.

Die außerordentliche Beliebtheit des Sternenbanners bei der nord­amerikanischen Bevölkerung hat sich nicht zuletzt in der großen Zahl von Liedern ausgedrückt, die seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu seinen Ehren gedichtet und komponiert wurden. Berühmt ist bis heute der Marsch "Stars and Stripes for ever" von John Philip Sousa, und das 1814 von Francis Scott Key geschaffene Lied "Star-Spangled Banner" wurde 1931 zur Nationalhymne der USA erhoben. In dem Refrain der drei Strophen heißt es:

"Oh, say, does that star-spangled banner yet wave/ O'er the land of the free and the home of the brave?/ 'Tis the star-spangled banner; oh, long may it wave/ O'er the land of the free and the home of the brave./ And the star-spangled banner in triumph shall wave/ O'er the land of the free and the home of the brave."

Der Wunsch danach, daß die Flagge des eigenen Landes "im Triumph wehen" möge, hat nicht wenig zu dem beigetragen, was in den USA flag promotion genannt wird. Auch hierbei ist auffällig, wie stark die Initiative von der Bevölkerung selbst ausging. Erst nachdem der 14. Juni bereits seit 1889 als "Flaggentag" begangen wurde, sanktionierte der Staat mit Verordnungen von 1916 und 1927 und einem entsprechenden Gesetz von 1949, was sich spontan durchgesetzt hatte.

Heute kommt der Flaggenkult der US-Bürger vor allem in drei Elementen zum Ausdruck: der Gewohnheit, das Sternenbanner immer aufgezogen zu lassen vor privaten wie öffentlichen Gebäuden, der Bezugnahme des Loyalitätsgelöbnisses (Pledge of Allegiance), das seit dem Ende des 19. Jahrhunderts vor allem in den Schulen gesprochen wird ("Ich gelobe Treue der Flagge der Vereinigten Staaten von Amerika und der Republik, für die sie steht: einer Nation unter Gott, unteilbar, mit Freiheit und Gerechtigkeit für alle.") und der Schaffung eines eigenen Flag Code, in dem der Umgang mit dem Sternenbanner durch den Kongreß minutiös geregelt (wenn auch nicht gesetzlich fixiert) wurde.

Angesichts der Bedeutung des Sternenbanners für Bewußtsein und Gefühle der Amerikaner ist mehr als zweifelhaft, daß die Aufklärung über die wahren Umstände des Fotos von der Flaggenhissung auf Iwo Jima tatsächlich zu einem grundsätzlichen Wandel führen wird. Ein Mythos kann vergessen, aber nicht widerlegt werden, ein starkes Symbol übt als Bild eine Macht aus, die rationalen Erwägungen niemals vollständig zugänglich ist. Darin, daß das Denkmal für die gefallenen Marines auf dem Friedhof von Arlington nach diesem Modell geschaffen wurde, die Menge der Zitate unübersehbar ist und die Feuerwehrleute nach Zerstörung des World Trade Center die Hissung des Sternenbanners auf den Trümmern der Gebäude dem Vorbild entsprechend nachstellten, zeigt sich die Wirkung auf die kollektive Phantasie, die auch Eastwoods neuer Film nicht brechen dürfte.

Die JF-Reihe "Politische Zeichenlehre" des Göttinger Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt

Foto: US-Soldaten hissen auf Iwo Jima das Sternenbanner


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