© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/07 09. Februar 2007

Linkspopulisten
Berlin: Lafontaine zu Gast bei Dr. Seltsam und Jürgen Elsässer
Jörg Fischer

Zu wenig Stühle, wie im Kreuzberger Wirtshaus "Max & Moritz" bei der Buchpremiere von Jürgen Elsässers "Angriff der Heuschrecken", gab es diesmal nicht. Dennoch war das Berliner Filmtheater Babylon vergangene Woche fast ausverkauft, obwohl sich die Veranstaltung nur im Kleingedruckten fand. Auch die Antideutschen waren nicht da, wie eine Woche zuvor in Frankfurt am Main, um das Treffen der "Nationalbolschewisten" zu stören. Sie müßten sich wohl noch vom Sonntag in Berlin erholen, flapste Elsässer - und meinte damit eine gemeinsame Kundgebung von bürgerlich-christlichen Israel-Freunden und "Antifa"-Gruppen unter dem Motto "Kein Viertes Reich mit einem Führer Ahmadi-Nedschad".

Junge Welt-Leser und ihr Umfeld waren also weitgehend unter sich - bis auf den Mitarbeiter vom Verfassungsschutz, wie Oskar Lafontaine mutmaßte. Für den werde er besonders langsam sprechen, meinte der Linksfraktionschef in Anspielung auf die nachrichtendienstliche Beobachtung seiner Partei (siehe Seite 4). Doch Verfassungsfeindliches konnten die beiden Gastgeber des zweistündigen Politvarietés - der "Anti-Antideutsche" Publizist Jürgen Elsässer (JF 47/05) und der Kabarettist Wolfgang Kröske ("Dr. Seltsam") - dem Ex-SPD-Chef nicht entlocken. Der zitierte lediglich den französischen Pazifisten Jean Jaurès ("Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen") und trug ansonsten die WASG-Ablehnung von Hartz IV, Sparkassenprivatisierung und Auslandseinsätzen vor. Das lag nicht nur an der politischen Korrektheit des Politprofis, sondern vor allem an den zurückhaltenden Fragen im Sabine-Christiansen-Stil und den ARD-"Scheibenwischer"-Pointen.

Das Rahmenprogramm war gleichermaßen auf DDR-Nostalgiker, Alt-Achtundsechziger und neue Linke ausgerichtet: Der Erich-Mühsam-Verehrer Kröske hatte die junge Sängerin Isabel Neuenfeldt eingeladen, die sein "Lied vom Revoluzzer" und Balladen des amerikanische Sängers Tom Waits intonierte. Das Berliner Spinning Ballroom Orchestra spielte unpolitischen Jazz. Ein Nummerngirl mit weißem Minirock kündigte die Programmpunkte an - und mit ihrem blauen FDJ-Hemd "protestierte" sie zugleich gegen das "immer noch" gültige KPD-Verbot. Dr. Seltsam rezitierte nachdenklich Theodor Fontanes Ballade "Trauerspiel Afghanistan", die mit den Worten endet: "Mit dreizehntausend der Zug begann, einer kam heim aus Afghanistan."

Bemerkenswert war der Freudsche Versprecher Lafontaines, daß im Bundestag "nur neoliberale Parteien" säßen. Oder der Hinweis, vielleicht bei dem anwesenden Mann mit dem "no npd"-Schild für ein Verbot der Partei zu unterschreiben. Wie erfolgreich der VVN-BdA-Aktivist war, hat vielleicht auch den Verfassungsschutz interessiert. Denn der als linksextrem eingestufte Verein zählt ebenfalls zu dessen Berichtsobjekten. Und sollte Elsässer mit seiner Vermutung richtig liegen, daß der Angriff auf den Iran spätestens im März stattfindet, dürften auch andere "Dienste" sehr hellhörig werden.


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