© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/07 09. Februar 2007

Rotkäppchen ist an allem schuld
Tierschutz: Wölfe erobern die Lausitz zurück / Diskussion über Für und Wider entbrannt
Paul Leonhard

Wilde Tiere sind in der Oberlausitz auf Nahrungssuche: Wölfe. Gleich zwei Rudel sind nahe der sächsisch-brandenburgischen Grenze bekannt. Eines lebt in der Muskauer Heide, das andere in der benachbarten Neustädter Heide. Im vergangenen Herbst sorgten die Raubtiere mehrfach für Schlagzeilen, weil sie Schafe sowie in einer Nacht in einem Wildpark 16 Stück Dam- und Sikawild rissen. Seitdem tobt der Kampf zwischen Naturschützern und Jägern.

Letztere fürchten einen übermäßigen Rückgang des Wildbestandes. Sie haben - trotz strenger Schutzgesetze - ein "Ende der Toleranz" gegenüber dem Wolf verkündet. Die deutsche Jägerschaft stehe einer natürlichen Zuwanderung von Wolf, Luchs oder Bär positiv gegenüber, versichert zwar Jochen Borchert, Präsident des deutschen Jagdschutz-Verbandes. Aber er räumt ein, daß der Rückkehr des Wolfes "in Teilen der örtlichen Jägerschaft mit Skepsis begegnet" wird. So sei unklar, wie sich die Anwesenheit des Raubtieres auf die Wildbestände auswirke. Borchert plädiert für eine Entschädigungsregelung für Nutztierverluste und eine Meldeprämie für Risse.

Nachdem 1904 der letzte wildlebende deutsche Wolf bei Hoyerswerda abgeschossen worden war, sind sie seit 1996 wieder in der Lausitz heimisch. Damals waren Rolf Röder, dem Leiter des Bundesforstamtes Muskauer Heide, auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes Oberlausitz zum ersten Mal Wolfsspuren aufgefallen.

Vier Jahre später konnte hier erstmals ein Paar mit vier Welpen beobachtet werden (JF 17/03). Das abgeschottete, teilweise bewaldete Militärgelände bietet ebenso wie die menschenleere Braunkohlelandschaft ideale Lebens- und Jagdbedingungen. 2004 wurde bekannt, daß eines der Jungtiere zusammen mit einem Wolfsrüden ein zweites Rudel gegründet hat.

Inzwischen ist sicher: Der Wolf ist aus Polen wieder in Sachsen eingewandert. Zur Zeit leben in beiden Revieren jeweils zwei Alttiere mit drei Jährlingen und sechs bzw. sieben Welpen.

Der Freistaat Sachsen hat die Neuankömmlinge mit offenen Armen empfangen. Die Rückkehr der Wölfe wurde als "herausragendsten Artenschutzereignis der vergangenen Jahre" gefeiert. Eigens wurde ein "Wolfsmanagement" mit dem Wildbiologischen Büro Lupus in Spreewitz und einem Kontaktbüro "Wolfsregion Lausitz" in Rietschen eingerichtet, das die Entwicklung der Tiere dokumentieren soll. Als Glücksfall erwies sich, daß kurz vor Weihnachten 2006 ein Wolfswelpe in eine Fuchsfalle tappte und seitdem mit einem Sender herumläuft. Die Wissenschaftler können das Tier jetzt genau verfolgen.

Umherstreunende Wölfe sorgen für Unruhe

Sachsens Umweltminister Stanislaw Tillich (CDU) schwärmt von einem "Wolfsmanagement, das von unabhängigen Fachleuten aus dem In- und Ausland als hervorragend" bewertet werde. Mißtrauisch bleibt der sächsische Landesjagdverband. Er hat eigene Wolfsbeauftragte benannt. Bei denen sollen die Jäger Risse von Wildtieren melden. So forderte beispielsweise der Jagdverband Hoyerswerda alle Mitglieder auf, Wolfssichtungen und aufgefundene Wolfsrisse über ein Formular an die Arbeitsgruppe Wolf des Landesjagdverbandes zu melden. Ziel ist eine eigene Bestandsaufnahme über die Anzahl der Wölfe, ihr Verbreitungsgebiet und die Einflüsse auf die Tierwelt.

Es geht aber auch um eventuelle Konfliktpotentiale für die Bevölkerung. Denn Wölfe scheuen sich nicht, auf der Suche nach Beute nachts durch Dörfer zu ziehen. Immerhin ist ihr Revier 250 bis 300 Quadratkilometer groß und die Tiere legen täglich mehr als 25 Kilometer zurück. Während sich die Landbevölkerung daran gewöhnt hat, daß Wildschweine, Rehe und Füchse in der Nacht bis an die Häuser herankommen, sorgen umherstreunende Wölfe für Unruhe.

Das Raubtier komme aber nicht wegen der Menschen, sondern weil die Siedlung auf seinem Weg liegt und er keinen Grund sieht, einen Umweg einzuschlagen, sagt Jana Schellenberg vom Kontaktbüro "Wolfsregion Lausitz". Gegen das Image des Wolfes als einer gefährlichen Bestie ist aber nur schwer anzukommen. Jahrhundertelang wurden Wölfe erbarmungslos gejagt.

Mit der Rückkehr der Wölfe würden leider auch alte Vorurteile und Ängste wachgerufen, klagte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD): "Schließlich sind wir alle mit der Geschichte von Rotkäppchen und dem bösen Wolf aufgewachsen."

Damit der Wolf seinen Ruf als Großmutterfresser loswird, hat das Bundesumweltministerium eigens ein Naturschutz-Magazin Wölfe mit einer Auflage von mehr als zwei Millionen Stück aufgelegt.

Auch Sachsen läßt sich die Erforschung des Verhaltens der Wölfe, die Schutzmaßnahmen bei Schafsherden und die Aufklärungsarbeit etwas kosten. Knapp 100.000 Euro wendet das sächsische Umweltministerium für Isegrim auf. Insbesondere Jäger und Schäfer sollen über sie genau informiert werden bzw. lernen, wie Herden am besten zu schützen sind.

Noch ist die Wolfspopulation in der Lausitz verschwindend gering. Erst ab zwei Dutzend Rudeln gehen Biologen von einem überlebensfähigen Bestand aus. Deren Reviere würde sich dann über die drei östlichen Bundesländer und Westpolen erstrecken. In der Tat wurden bereits einzelne Wölfe in Südbrandenburg gesichtet. Es gilt als wahrscheinlich, daß sich die Raubtiere auf der Suche nach geeigneten Jagdrevieren auch hier ansiedeln.


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