© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/07 09. Februar 2007

Liberalismus im Notstand
Einen treffen, hundert erziehen: Terrorismus als Ausgeburt der Kommunikationsgesellschaft
Alain de Benoist

Viele der über einhundert unterschiedlichen Versuche, Terrorismus zu definieren, sind bloße Tautologien: "Terrorismus zielt darauf ab, Terror auszulösen." Andere beschreiben, anstatt zu erklären. Wohlverstanden sind sich alle darüber einig, daß Terrorismus politische Ziele mit rechtswidrigen Mitteln, namentlich der wahllosen Gewalt gegen die Bevölkerung verfolgt. Freilich ist nicht jede politische Gewalt (angefangen beim Krieg oder der Guerilla) ein terroristischer Akt.

Terrorismus richtet sich häufig gegen Zivilisten - in den Medien ist stets von "Unschuldigen" die Rede, eine Wendung, die ein simples moralisches Urteil über den Terrorismus beinhaltet, ohne nach seinen Motiven zu fragen. Freilich fordern auch konventionelle Kriege zunehmend zivile Opfer.

Der Begriff bleibt demnach vage und offen für allerlei opportunistische Instrumentalisierungen oder metaphorische Verwendungen, die ihm seine Bedeutung zu nehmen drohen. Die große Bandbreite dessen, was unter "Terrorismus" fällt, läßt überdies die Diskussionen um die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Rechtfertigung (die alte Frage der "Kollektivstrafe" und des Zwecks, der die Mittel heiligt) erst recht müßig erscheinen. Die Bedeutung, die dem Terrorismus gegenwärtig zugewiesen wird, rührt nicht von der Zahl seiner Opfer her - die meisten bewaffneten Konflikte der jüngeren Vergangenheit haben mehr Menschenleben gefordert, ohne vergleichbare Reaktionen auszulösen -, sondern daher, daß er als globale Erscheinung den Eintritt in eine neue Epoche des Kriegs und der Feindschaft markiert.

Der Globalterrorist hat wenig mit dem traditionellen Partisanen gemein. Im Gegensatz zum Guerillero kämpft er nicht um Herrschaft oder um die physische Kontrolle über ein bestimmtes Gebiet im Sinne einer logistischen Basis oder eines Rekrutierungspools. Er führt einen asymmetrischen Kampf, in dem Computer und Mobiltelefone soviel wert sind wie Waffen und Munition. Er greift Militärpersonal wie Zivilisten an, folgt oft dem Konzept des "führerlosen Widerstands", der auf vertikale, zentralisierte Kommandostrukturen verzichtet ("al-Qaida" ist weniger eine Organisation als ein Warenzeichen) - damit werden sämtliche traditionellen Unterscheidungen des klassischen Krieges obsolet. Überdies ist er sowenig standortgebunden wie ein multinationaler Konzern: Beim "internationalen Terrorismus" liegt die Betonung auf dem Adjektiv. Dementsprechend ist die Front, an der gekämpft wird, zugleich überall und nirgends. Seine Aktionen kennen keine klaren geographischen Grenzen. Sein Reich ist weniger die Erde als vielmehr der Raum.

Es handelt sich um ein Phänomen von vorwiegend psychologischer Tragweite. Der globale Terrorismus will Angst, Beunruhigung und Mißtrauen auslösen, er will die Einbildungskraft treffen und stark gefühlsbetonte Reaktionen herausfordern. Die psychologische Wirkung eines derartigen Anschlags geht weit über die Zahl der Toten hinaus. Überdies vollzieht der globale Terrorismus eine Trennung zwischen den unmittelbaren Opfern und den eigentlichen Zielscheiben, zwischen physischer und psychologischer Schlagkraft; erstere bilden jeweils nur das Mittel zum Zweck. Bereits 1962 erkannte Raymond Aron: "Eine Gewalttat wird als terroristisch bezeichnet, wenn ihre psychologische Wirkung in keiner Proportion zu ihren rein physischen Ergebnissen steht."

Als reflexive Gewalt, deren reales über ihr unmittelbares Ziel hinausgeht, hat terroristische Gewalt auch eine mediale Komponente: Sie dient dazu, eine Botschaft zu schicken - diese Botschaft ist der Schaden. Ein Terroranschlag hat immer weniger Opfer als Zuschauer, daher rührt die intime und traumatische Beziehung zwischen Terrorismus und öffentlicher Meinung. Tatsächlich ist der Terrorismus darauf angewiesen, daß über ihn berichtet wird und seine Bilder zur Schau gestellt werden. Allein durch die mediale Verbreitung kann ein Terrorakt Wirkung erzielen.

Damit haben die Medien ihrerseits Anteil am Terror. In diesem Sinne ist der Terrorismus eine Ausgeburt der Kommunikationsgesellschaft, der societé du spectacle, wie Guy Debord sie nannte. Der Gesellschaft des Spektakels entspricht der Terrorismus des Spektakels - der Terrorismus als Spektakel. Eben deshalb ist sie für seine virale Ausbreitung genauso anfällig wie für andere Viren.

Schließlich handelt es sich um eine im emphatischen Wortsinn symbolische Gewalt, die es darauf anlegt, die Gemüter zu destabilisieren, indem sie ein Übermaß an Realität hervorbringt, das die gegenwärtigen Formen des Realen entkräftet. Einer Gesellschaft, für die politisches Handeln den Verzicht auf Gewaltanwendung bedeutet, weil sie vergessen hat, daß Krieg nur die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, muß der Terrorismus mit seinem unvorhersehbaren Charakter auch unbegreiflich erscheinen.

Die Repräsentanten der Staatsmacht nehmen gerne das Wort vom "Krieg gegen den Terror" in den Mund, doch zielt Krieg immer darauf ab, einen politischen Willen zum Nachgeben zu bewegen. Zum anderen gibt es keinen Krieg ohne einen als solchen anerkannten Feind. Im Gegensatz zum konventionellen Krieg und zur Guerilla hat der Terrorismus jedoch keinen völkerrechtlichen Status. Für Staaten kann der Terrorismus weder Gegenstand der politischen Anerkennung noch Verhandlungs- oder Vertragspartner sein.

Als nicht anerkannter Feind wird der Terrorismus auf eine Ebene unterhalb der politischen relegiert, wo die Spielregeln der Politik nicht gelten. Statt dessen begegnet man ihm mit Polizeieinsätzen, als handle es sich bloß um ein gewöhnliches Verbrechen. Damit wird ihm ein politischer Charakter abgesprochen oder sogar das Politische auf neue Weise kriminalisiert.

Die Rede vom "Krieg gegen den Terrorismus" ist also irreführend - dem Terrorismus den Krieg zu erklären, läuft darauf hinaus, ihm den Status zuzuerkennen, den man ihm ansonsten verweigert. Und zwar zu Unrecht verweigert, denn der Terrorismus ist sehr wohl vornehmlich ein politisches Phänomen. Er ist weder "absurd" noch "grundlos", sondern hat politische Ursachen und verfolgt politische Ziele. Man kann ihn sekundär mit Polizeimitteln bekämpfen, primär aber muß man sich auf politischem Weg seiner erwehren.

Der bislang größte Sieg des Terrorismus liegt zweifelsohne darin, die liberalen Gesellschaften entlarvt zu haben - als Gesellschaften, die im Kampf gegen ihn zur Anwendung sämtlicher Notstandsmaßnahmen bereit sind, die ihrer offiziellen Selbstdarstellung widersprechen: zur umfassenden Überwachung der Bevölkerung, zu Folter, willkürlicher Internierung und Geheimgefängnissen. Die Terroristen haben erreicht, daß sie von jenen, in denen sie selber ihre absoluten Feinde sehen, ebenfalls als solche betrachtet werden. Damit zwingen sie diese Feinde, sich auf dasselbe Terrain zu begeben wie die Terroristen. Die herrschende Vorstellung besagt effektiv, weil Terroristen zu allem fähig sind, sind gegen sie alle Mittel erlaubt.

Hannah Arendt unterschied zwischen dem "objektiven Feind" und dem "Verdächtigen". Im Antiterrorkampf geht diese Unterscheidung allmählich verloren. Die bürgerlichen Freiheiten sind ihm bereits zum Opfer gefallen. "Einen treffen, um hundert zu erziehen", sagte Stalin, der in dieser Frage Fachmann war. 


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen