© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/07 09. Februar 2007

Nette Menschen leben länger
Kino II: "Schräger als Fiktion" geht's in Hollywood-Beziehungskomödien selten zu
Silke Lührmann

Literarische Theorie ist eine hübsche Gedankenspielerei. Mit der Wirklichkeit hat sie wenig zu tun, denn die ist wenn nicht "schräger", so doch rätselhafter und unergründlicher als jede Fiktion.

Wieviel Kontrolle hat ein Autor über seine Schöpfungen? Existieren Romanfiguren nur auf dem Papier, oder führen sie ein Eigenleben jenseits des Textes? (Und, zuletzt in zahlreichen Internetforen hitzig debattiert: Darf J. K. Rowling Harry Potter kaltblütig umbringen und Milliarden Fans weltweit in Trauer stürzen?) Willensfreiheit, Prädestination - das sind philosophische, manch einer würde sagen: theologische Probleme, die sich mit den Werkzeugen des Formalismus, der Wirkungs- und Produktionsästhetik, der Komparatistik oder des Dekonstruktivismus aufwerfen, keinesfalls aber lösen lassen.

Von einer Beziehungskomödie made in Hollywood darf dies erst recht niemand erwarten. Immerhin bewies Regisseur Marc Forster, nachdem er 2001 mit "Monster's Ball" einen atemberaubend lyrischen Film über die Todesstrafe drehte, schon in "Wenn Träume fliegen lernen" (2004) viel Verständnis für die Freuden und Nöte des Schriftstellerdaseins in Gestalt von J. M. Barrie, dem Erfinder Peter Pans.

Harold Crick ist Zwangsneurotiker, Steuerprüfer, ansonsten kerngesund - und dem Tod geweiht: weil die Erzählerin es so will. Deren minutiöse Schilderung seines Tuns oder Lassens verfolgt ihn neuerdings auf Schritt und Tritt. Sie hat nicht einmal den Anstand, den Mund zu halten (oder ihm wahlweise mit ein paar smarten Dialogzeilen auszuhelfen), als er die rundum begehrenswerte Steuersünderin Ana Pascal (Maggie Gyllenhaal) kennenlernt. Die Bäckerin würzt ihr kaum minder verführerisches Naschwerk mit einer großzügigen Prise Idealismus und verweigert der US-Regierung jene 22 Prozent ihrer Gewerbesteuer, die der Verteidigungshaushalt schluckt.

Ein Mann der Zahlen, dem die Worte zum Schicksal werden: Was arg nach kopflastigem Ideenkino für gehobene Unterhaltungsansprüche klingt, bietet durchaus andere Reize, nicht zuletzt die visuelle Gestaltung der Räume: minimalistisch-funktional für Harold, üppig-warme Farbenpracht für Ana, gediegene Brauntöne dem Herrn Professor. Graphische Bildschirmelemente wie aus einer mittelmäßigen Powerpoint-Präsentation entlehnt gewähren tieferen Einblick in Harolds Innenleben, wo Schöngeistiges bislang vor lauter Statistiken überhaupt keinen Platz fand.

Die spröde Erfolgsschriftstellerin Karen Eiffel (Emma Thompson) haust zwischen kahlen Wänden so unbehaglich wie in ihrer eigenen Haut - Symbolismus, ick hör dir trapsen. Vom Verlag bedrängt, das Manuskript für ihren neuen Roman "Tod und Steuern" fertigzustellen, raucht sie eine Zigarette nach der anderen und recherchiert auf der Intensivstation, wie dessen Hauptfigur namens Harold Crick am dramatischsten ins Jenseits zu befördern wäre. Ihre Wahl fällt schließlich auf den Klassiker, einen ganz unspektakulären Heldentod. Sinnloses Sterben verabscheut selbst die Gegenwartsliteratur so sehr wie die Natur das Vakuum - also muß ein Kind her, für dessen unschuldiges Leben Harold das seine opfern soll.

Der aber mag sich weder auktorialer Willkür noch altehrwürdiger Genrekonvention fügen. Nachdem die Psychotherapie ihm nicht zur Selbsterkenntnis verhelfen konnte, nimmt er bei Jules Hilbert (Dustin Hoffman) philologische Nachhilfe.

Daß ein gestandener Literaturwissenschaftler mit unappetitlichen Eßgewohnheiten und allen Insignien seines wenig ruhmreichen Gewerbes von der abgewetzten Tweedjacke über die imposante Bücherwand bis zum lausbübischen Lockenschopf den Unterschied zwischen Autor und Erzählstimme nicht zu kennen scheint, der doch jedem Erstsemester eingebleut wird - sei's drum. Dafür gibt es eine hübsche intertextuelle Pointe: Dustin Hoffman, der vor vierzig Jahren in Mike Nichols' "Reifeprüfung" träumend im elterlichen Pool darauf wartete, daß Mrs. Robinson ihn aus dem Dornröschenschlaf erweckte, wacht hier als Bademeister über das universitätseigene Schwimmbecken.

Dank professoraler Unterweisung und Anas Fürsorge reift Harold zu einer sympathischen, allemal interessanteren Figur, womöglich sogar zu einem besseren Menschen, der zwischen Arbeit und Leben ebenso sicher unterscheiden kann wie zwischen Komödie und Tragödie - letzteres freilich eine Lektion, die Ferrell schon seit seiner Rolle in Woody Allens "Melinda und Melinda" (2004) beherrschen müßte. Nebenbei lernt er nicht nur, sich selbst und anderen Träume zu erfüllen, sondern auch das Stilmittel der Vorahnung zu erkennen.

Und die Moral von der Geschicht: Nette Menschen leben länger. Am Ende kriegen sich alle, nachdem Karen der Wirklichkeit zuliebe Verrat an ihrer Kunst begeht. Künftig wird die geläuterte Literatin statt bissiger Kleinode wohl nur noch Kuschel-Ratgeber für überforderte mittlere Führungskräfte verfassen, während Jules anstelle des erhofften Meisterwerks immerhin - in akademischen Kreisen mindestens soviel wert - einen neuen Forschungsgegenstand in den Händen halten könnte: den narrativen Gnadenakt.

Friede, Freude, Blaubeermuffins also auf der Leinwand, während draußen vor dem Kino alles so schräg läuft wie immer - lieber hätte man's doch umgekehrt!

Foto: Harold Crick (Will Ferrell): Woher kommt bloß diese Stimme?


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