© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/07 09. Februar 2007

Immer noch wißbegierig
Jörg B. Bilke wird siebzig
Thorsten Hinz

Der Zeitpunkt, an dem Jörg Bernhard Bilke brutal auf die politischen Realitäten im geteilten Deutschland gestoßen wurde, läßt sich exakt benennen: Am 9. September 1961 wurde er, ein 24jähriger Germanistikstudent aus Mainz, auf dem Leipziger Karl-Marx-Platz festgenommen. Drei Tage zuvor war er arglos mit dem Motorrad angereist, um Neuerscheinungen der DDR-Literatur zu kaufen und mit dem bekannten Literaturprofessor Hans Mayer über ein Studiensemester an der Leipziger Universität zu reden. Er wußte nicht, daß er sich bereits seit zwei Jahren im Visier der Stasi befand und ein Leipziger Student, den er für einen netten Bekannten hielt, als "geheimer Hauptinformator" auf ihn angesetzt war.

Den DDR-Behörden war nämlich nicht entgangen, daß Bilke bei einem ersten Leipzig-Besuch im Oktober 1959 die Ehefrau des Schriftstellers Erich Loest besucht hatte, der 1957 als angeblicher Staatsfeind zu acht Jahren Haft verurteilt worden war. Die Späher hatten auch die DDR-kritischen Artikel in einer Studentenzeitschrift und Kontakte zum Bloch-Schüler Gerhard Zwerenz bemerkt, der in den Westen geflüchtet war. Sie identifizierten Bilke als Spinne in einem konterrevolutionären Netz. Er wurde angeklagt, "die politisch-ideologischen Grundlagen der Arbeiter-und-Bauernmacht" untergraben zu wollen. Die Strafe lautete auf dreieinhalb Jahre Zuchthaus.

Die nach 1989 freigegebenen Akten zeigen, daß Hans Mayer, aber auch die Schriftstellerin Anna Seghers - eine gebürtige Mainzerin - sich für ihn eingesetzt hatten, Mayer sogar sehr energisch. (Einige der Briefe sind abgedruckt in Mark Lehmstedts kürzlich erschienener Brief-Edition von Mayer.) Doch erst im August 1964 konnte Bilke von der Bundesregierung für 40.000 DM freigekauft werden.

Die Haft verstärkte sein Interesse an der DDR

Jörg Bernhard Bilke wurde 1937 in Berlin geboren. Kurz darauf verzog seine Familie nach Rodach bei Coburg, so daß er nach dem Zweiten Weltkrieg im Westen, aber nahe genug an der innerdeutschen Grenze aufwuchs, um seine Neugierde auf den anderen deutschen Staat zu wecken. Die fast dreijährige Haftzeit hat das Interesse sogar noch verstärkt.

Nach der Entlassung beendete er sein Studium, arbeitete im Ausland als Deutschlehrer und Gastdozent für DDR-Literatur, verfaßte eine Dissertation über das Frühwerk von Anna Seghers, war Redakteur bei der Tageszeitung Die Welt und siebzehn Jahre lang Chefredakteur der Kulturpolitischen Korrespondenz des Ostdeutschen Kulturrates in Bonn, der sich der Kultur der Vertreibungsgebiete widmete, Bilkes zweitem großen Interessenbereich.

Er hat zahllose Aufsätze und Rezensionen zum literarischen Leben in der DDR verfaßt. Zehn Jahre, bevor Karl Corino den offiziellen Lebenslauf Stephan Hermlins demontierte, wies Bilke in der Welt darauf hin, daß Hermlin eine falsche Gloriole als Spanienkämpfer trug. Er hatte die Ehre, von Hermann Kant, dem Präsidenten des DDR-Schriftstellerverbandes, in veröffentlicher Rede neben Fritz J. Raddatz als übler Verleumder der sozialistischen Literatur genannt zu werden.

Aber wie falsch wäre es, ihn sich als einen verbitterten Nörgler vorzustellen! Bilke kennzeichnet eine ruhige, freundliche Ausgeglichenheit, und seit 1989 stillt er ausgiebig sein Interesse an den neuen Ländern. Nach wie vor wißbegierig, besucht er literarische Konferenzen und Tagungen und schreibt Artikel, auch für die JUNGE FREIHEIT, die ihn seit zwölf Jahren zu ihren Mitarbeitern zählt. 1996 erschien seine Autobiographie "Rodach - meine Pforte nach Thüringen". Am 10. Februar wird er 70 Jahre alt.


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