© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/07 23. Februar 2007

"Uns fehlt, was Preußen war"
Ehrhardt Bödecker ist Deutschlands Preußen-Aktivist Nummer eins. Er gründete das erste Preußenmuseum
Moritz Schwarz

Herr Bödecker, warum Preußen?

Bödecker: Weil Preußen seit seinem Untergang soviel Ungerechtigkeit widerfahren ist, daß es eine Rehabilitierung verdient hat! Man hat nach dem Zweiten Weltkrieg versucht, Preußen zum Sündenbock für das Unglück der deutschen Geschichte zu machen. Noch 1981 zum Beispiel empfahl der Politologe Kurt Sontheimer, im Interesse der Demokratisierung Deutschlands "an der These vom preußisch-deutschen Kaiserreich ... als Vorläufer Hitlers festzuhalten", gleich ob richtig oder falsch. Der israelische Historiker Tom Segev hat einmal festgestellt: Es gebe nur noch zwei Staaten auf der Welt, die Geschichtswissenschaft mit Ideologie verwechseln - Israel und Deutschland.

Sie engagieren sich seit Ihrer Studentenzeit für Preußens Ehrenrettung, sind aber - ausgerechnet - gebürtiger Sachse.

Bödecker: Das entbehrt allerdings nicht einer gewissen Ironie, wenn man die Geschichte der beiden Staaten kennt. Entscheidend aber ist: Ich bin Jurist. Denn als Jurist weiß man: Vor einem Urteil steht die Ermittlung des Tatbestandes. Aber kein Historiker in Deutschland geht bei der historischen Behandlung Preußens nach diesem Prinzip vor. Sie mischen Tatsachen mit Meinungen und Ideologie. Deshalb habe ich das Brandenburg-Preußen-Museum in Wustrau zwischen Neuruppin und Berlin errichtet, wo ich einfach die Fakten sprechen lasse. Meine Besucher sollen dann selbst entscheiden.

Welche Fakten zum Beispiel?

Bödecker: Ein Beispiel ist die politisch gewollte Verleumdung des Militarismus. Historisch betrachtet war dieser Wesenszug Preußens ausgesprochen positiv. Angesichts der durch die Industrialisierung ausgelösten Landflucht stand man nämlich vor dem schwierigen Problem der Integration der abwandernden Landbevölkerung in das System der Städte. Die Leute vom Lande waren die städtische Moderne mit ihrem ganz anderen Lebens- und Produktionsrhythmus nicht gewöhnt. Die Armee mit ihrer speziellen Lebensform war ein wichtiges Instrument, um die Integration dieser Menschen in die neue Lebenswelt zu bewältigen.

Ihr Museum stellt Preußen als Erfolgsgeschichte dar.

Bödecker: Heute wird uns - als Ergebnis der Weltkriege - Preußen als Desaster vor Augen geführt. Tatsächlich aber war es vor allem eine ungeheure Erfolgsgeschichte. Mir geht es weder um Nostalgie noch um Glanz und Gloria. Soldaten und Schlachten kommen in meinem Museum kaum vor. Mir geht es um das Modell Preußen. Denn Preußens Erfolgsgeheimnis ist nicht nur faszinierend und nachdenkenswert, sondern auch lehrreich, weil wir von der preußischen "Standeserziehung" für unsere Gegenwart und Zukunft Wichtiges lernen können.

"Preußen, die Wurzel des Erfolgs" haben Sie Ihr erstes Buch genannt. Auf welches Geheimnis sind Sie an der Wurzel gestoßen?

Bödecker: Die Formel für den Erfolg ist denkbar einfach und doch genial: Bildung und Disziplin. In Preußen wurde nicht zum Kadavergehorsam erzogen, sondern zu Disziplin und Selbstdisziplin, zu Eigenständigkeit, Pflichtbewußtsein und persönlicher Bescheidenheit. Wenn Sie dagegen unsere gegenwärtige geistige Verfassung und die Strukturkrise analysieren, in der sich unser Land befindet, dann stellen Sie fest: Alles, was uns heute fehlt, ist das, was Preußen einst war.

Preußen ist also keine Frage der Geschichte?

Bödecker: Ganz und gar nicht! Wir zehren doch bis heute von den Erfolgen und von der Substanz, die Preußen-Deutschland einst geschaffen haben. Selbst der Wiederaufbau nach dem Krieg und das bundesrepublikanische Wirtschaftswunder waren das Verdienst Preußen-Deutschlands: Angefangen damit, daß das Personal, das den Wiederaufbau organisiert hat, aus den Bildungs- und Erziehungstraditionen Preußen-Deutschlands kam, bis hin zu den Erfindungen, Patenten, Verfahren und Forschungseinrichtungen, die fast alle in den Epochen davor aufgebaut worden waren. Heute heißt es: "Dank des Marshall-Plans!" Ach, der Marshall-Plan, das waren umgerechnet gerade mal 1,4 Milliarden Euro. Die Engländer haben mehr als das Doppelte bekommen, ohne daraus ein Wirtschaftswunder zu schaffen. Ich sage - und belege das in meinen Büchern auch mit Zahlen -, die Bundesrepublik verdankt den Neustart nach 1945 vor allem Preußen-Deutschland! Und daß wir heute nicht mehr Spitze sind, sondern gerade noch Mittelmaß, liegt vor allem daran, daß wir dieses Erbe vergessen haben.

Ist das nicht etwas zu einfach?

Bödecker: Preußen hatte so gut wie keine Staatsverschuldung und bürdete den Bürgern nur geringe Steuern auf, im Durchschnitt vier bis sechs Prozent Einkommensteuer. Hört sich das nicht wie das Modell der Zukunft an, von dem wir alle träumen?

Der Staat hatte im Vergleich zu heute damals aber auch kaum öffentliche Aufgaben.

Bödecker: Eben, der Staat lag nicht lastend auf der Wirtschaft. Die Menschen waren frei, konnten Geld verdienen und damit investieren. Bei einem Sozialprodukt von etwa 2,4 Billionen Euro beträgt die Staatsquote heute etwa 49 Prozent. Der Staat investiert jedoch nur etwa 22 Milliarden Euro. Das heißt, er gibt nur etwa ein Prozent als Investition zurück! Während wir gleichzeitig eine Staatsverschuldung angehäuft haben, die sogar unser Sozialprodukt übersteigt! Und da fragen wir uns noch, was bei uns schiefläuft? In Preußen gab es 15 Millionen Selbständige bei 65 Millionen Einwohnern. Heute haben wir fünf Millionen bei achtzig Millionen Einwohnern. Oder: Heute gibt es fünf Millionen öffentlich Bedienstete, im angeblichen Obrigkeitsstaat Preußen waren es nur 420.000.

Kann man das vergleichen? Verwaltungen haben die Tendenz zu wachsen, Märkte sich zu konzentrieren: Die Beamten nehmen "automatisch" zu, die Selbständigen ab.

Bödecker: Natürlich muß man auch andere Faktoren berücksichtigen, aber damit Sie nicht - wie mir das regelmäßig vorgehalten wird und wie vor allem eine einfallslose und kleinmütige Politik das tut - alles nur auf die veränderten Umstände schieben, weise ich darauf hin, daß Preußen nicht nur im Vergleich zu heute, sondern auch damals schon im internationalen Vergleich Spitze war! Preußen hatte nicht nur eine geringere Staatsverschuldung und niedrigere Steuern als heute, es hatte überhaupt die damals geringste Staatsverschuldung und geringste Steuerlast in Europa! Sie können viele, sicher nicht unbegründete Einwände geltend machen, am Ende bleibt aber, daß in Preußen unser Ideal vom schlanken Staat verwirklicht war und daß das, was Preußen Deutschland als Erfolgsrezept mit auf den geschichtlichen Lebensweg gegeben hat, im Laufe der letzten Jahrzehnte durch einen versorgungsstaatlichen und mitbestimmungswütigen Wildwuchs des Staates und der Gewerkschaften außer Kraft gesetzt worden ist.

Einiges dieses "Wildwuchses" ist die Reaktion auf Mißstände, die man in preußisch-deutscher Zeit offenbar nicht zu lösen vermocht hat.

Bödecker: Es geht nicht um ein "Zurück ins 19. Jahrhundert!", es geht um die Versäumnisse der Gegenwart. Beispiel: Preußen, das war klare Staatsautorität. Der Zusammenhang von Macht und Verantwortung war transparent. Wissen Sie, wer heute das Land regiert? Kein Mensch weiß das! Glauben Sie etwa, Frau Merkel oder der Deutsche Bundestag? Parlamentarismus und Rechtsstaatlichkeit haben wir doch längst nicht mehr! Bei uns ist das Parlament mit der Regierung verschränkt, von den Parteien beherrscht, von Bundesländern umstellt und von Brüssel entmannt.

Außer der "Wurzel des Erfolgs" haben Sie ein Bändchen über zwei Dinge verfaßt, die man nach landläufiger Meinung nicht für verwandt hält: "Preußen und die Marktwirtschaft".

Bödecker: Sie werden staunen, aber die Antwort ist so simpel wie erschreckend: Preußen hatte noch eine Marktwirtschaft!

Soll heißen, wir haben keine?

Bödecker: Wir haben eine Art von Funktionärswirtschaft. Ludwig Erhard würde sich im Grabe umdrehen! In Preußen war die Freiheit des Unternehmers selbstverständlich. Der Staat hat damals den Rahmen für diese Freiheit geschaffen: angefangen mit der Gewerbeordnung von 1845. Der Unternehmer von heute ist von dem Typ des unabhängigen, normalen Unternehmers derart entwöhnt, daß sich die meisten die zentrale Figur eine Marktwirtschaft in ihrer ursprünglichen Form nicht einmal mehr vorstellen können! Es ist nämlich der freie und nicht bevormundete Unternehmer.

Steckt in Deutschland noch genug Preußen für eine Wiedererweckung?

Bödecker: Ziehen wir Bilanz: Mein Museum ist in Wustrau, weil man es - kurz gesagt - in Berlin so nicht wollte. Aber weder die Bundesrepublik Deutschland noch die Länder Berlin und Brandenburg unterhalten ein eigenes Museum. Es gibt in ganz Deutschland keinen einzigen Lehrstuhl für preußische Geschichte, während Sie die Lehrstühle etwa für Soziologie und Politologie kaum zählen können! Der Wiederaufbau des Potsdamer Hohenzollernschlosses ist ebenso vom Tisch wie der der Garnisonkirche, das Berliner Schloß steht in den Sternen. Und ich merke, wenn ich Führungen durch mein Museum leite, daß selbst die Leute, die zu mir kommen, wenig Ahnung von Preußen haben. Andererseits: Für die Mentalität Preußens kann man einsichtige Menschen nach wie vor begeistern. Denn die meisten Menschen sehnen sich unbewußt nach einer Regierung, die Ordnung und persönliche Entfaltung verspricht, sie sehnen sich nach, wie Jacob Burckhardt gesagt hat: Ordnung und Verdienst. In Preußen stecken ewige menschliche und politische Wahrheiten. So gesehen, hat gerade Preußen auch heute noch Zukunft. Moritz Schwarz

 

Ehrhardt Bödecker: Der Publizist, ehemalige Bankier und "Preußen-Liebhaber" (Die Welt) wurde 1925 in Zwickau geboren. Ab 1966 leitete er die Berliner Weberbank, die 1998 zur zweitgrößten deutschen Privatbank avancierte. Unermüdlich wirbt er mit großformatigen Zeitungsanzeigen (FAZ, Tagesspiegel), Büchern und dem von ihm gegründeten Preußenmuseum für eine Renaissance Preußens.

"Preußen, die Wurzel des Erfolgs", "Preußen und die Marktwirtschaft" (Olzog Verlag, 2004 und 2006).

 

Brandenburg-Preußen-Museum: Ist das einzige Preußenmuseum Deutschlands (das Preußenmuseum NRW widmet sich nur der Geschichte Rhein-Preußens). Da Bödecker nicht zu geschichtspolitischen Konzessionen gegenüber dem damals CDU-regierten Berlin bereit war, wich er 2000 ins 69 Kilometer entfernte Wustrau aus. 100.000 Besucher haben seitdem die Schau auf 350 Quadratmeter besucht.

 

Kontakt: Eichenallee 7A, 16818 Wustrau, Telefon: 03 39 25 / 707 98, Internet: www.brandenburg-preussen-museum.de 

 

Fotos: Der preußische Weltgeist zu Pferd - Reiterstandbild König Friedrichs des Großen Unter den Linden, Berlin: "Wir zehren bis heute von den Erfolgen und der Substanz Preußens"; E. Bödecker in der Porträtgalerie des Brandenburg-Preußen-Museums

 

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