© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/07 02. März 2007

Sebnitz, die wievielte?
von Michael Paulwitz

Es war also eine Halbstarken-Blödelei. Der Schüler, der in Parey in Sachsen-Anhalt auf dem Schulhof ein Schild mit einer antisemitischen Parole um den Hals trug, war nicht etwa von einer Nachwuchs-SA-Horde gewaltsam zu der Prozedur gezwungen worden – er hatte freiwillig bei dem Unfug mitgemacht. Einem geschmacklosen, gewiß, aber keinem, der die Republik aus den Angeln hebt.

Der Bericht des Magdeburger Innenministeriums mit dem unspektakulären Ermittlungsergebnis zum „antisemitischen Zwischenfall“ von Parey war nur den Regionalmedien noch bescheidene Meldungen wert. Dagegen vor vier Monaten: Schlagzeilen, Interviews, Hintergrund-Dossiers; Spitzenpolitiker überboten einander mit Schwarzmalerei und Anti-Rassismus-Programmen; der unvermeidliche Ralph Giordano erneuerte im Spiegel gar die Kollektivschuldthese: An dieser Untat sei „das ganze Deutschland von 2006 beteiligt“.

Sebnitz, die wievielte? Weder Medien noch Politikern ist es nur eine Spur peinlich, wieder mal in kollektive Hysterie verfallen zu sein. Für die Betroffenheitsmaschinerie ist es ja auch unerheblich, ob der Anlaß wahr ist oder falsch. In einem könnte Ralph Giordano damals nämlich recht gehabt haben: „Für diese unglaubliche Schulhofszene ist in erster Linie die gesellschaftliche Atmosphäre der Erwachsenenwelt verantwortlich.“ Vielleicht ist es ja nicht der Nazi in uns allen, sondern der Überdruß am volkspädagogischen Overkill, der die abwegigen Ideen für Halbstarkenpossen wie die von Parey liefert.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen