© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/07 02. März 2007

Die „Hürriyet“ und das heimliche Matriarchat
Einwanderung: Der Chef des Berliner Büros des türkischen Massenblattes hält seine Landsleute in Deutschland für vergleichsweise rückständig
Fabian Schmidt-Ahmad

Als Hetzblatt galt sie einst, die auflagenstarke türkische Tageszeitung Hürriyet. Politische Gegner wurden gnadenlos verfolgt und wüst beschimpft. Das mußte der „Feind der Türken“ und Grünen-Politiker Cem Özdemir erfahren, die „verwirrte“ Frauenrechtlerin Seyran Ates und viele andere mehr. Doch Hürriyet, zu deutsch „Freiheit“, scheint ruhiger geworden zu sein. Seitdem das Massenblatt den EU-Beitritt der Türkei strikt befürwortet, sind andere Töne zu hören – beispielsweise die von der Zeitung 2005 in Deutschland begonnene Kampagne „Gegen häusliche Gewalt“. Der Chef des Berliner Hürriyet-Büros, Ahmet Külahci, demonstrierte diesen Gesinnungswandel am Montag bei einer Veranstaltung zum Thema „Gesellschaftliche Situation türkischer Mitbürger in Deutschland“.

Külahci zeichnete ein sehr positives Bild von der türkischen Einwanderung. Die wirtschaftliche Integration der Türken ist seiner Einschätzung nach „nicht sehr gut, aber gut gelungen“. Zwar seien in der Vergangenheit „auf beiden Seiten“ Fehler gemacht worden, doch daraus resultierende Probleme betrachtete Külahci eher als temporär. Die 46 Jahre seit der Anwerbung der ersten türkischen Gastarbeiter 1961 seien zwar für ein Menschenleben eine lange Zeit, nicht aber für die Migrationsgeschichte. Als – eigentlich wenig schmeichelhaftes – Indiz für die zunehmende Integration wertete Külahci die sinkende Auflage der Deutschlandausgabe seiner Zeitung. Konnten einst bis zu 130.000 Exemplare verkauft werden, so sind es gegenwärtig nur 80.000. Dies spreche für die zunehmende Sprachintegration.

Diese Einschätzung ist um so erstaunlicher, da Hürriyet bisher eine deutsche Sprachpolitik massiv kritisierte. So sprach sich auch Külahci scharf gegen entsprechende Maßnahmen im Schulunterricht aus. Die aus dem Publikum erhobene Forderung, daß sich doch türkische Eltern um die Sprachkenntnisse ihrer Kindern kümmern müßten, empfand er als Zumutung. Befremdlich, da laut Külahci der wesentliche Integrationsbeitrag der Hürriyet darin bestehe, türkische Jugendliche an die Wichtigkeit eines deutschen Schulabschlusses zu erinnern. Jener dürfte aber schwerlich mit mangelhaften Sprachkenntnissen zu erreichen sein.

Nur nach außen hin „Pascha“

Für Irritationen sorgte Külahcis Sichtweise auf die Rolle der Frau in der türkischen Gesellschaft. So sei es nur die eigene subjektive Wahrnehmung, die im öffentlichen Straßenbild die verschleierte Frau wahrnimmt. Tatsächlich sei der türkische Mann aber nur nach außen hin „Pascha“. Im Haus dagegen übten häufig die Frauen die eigentliche Kontrolle aus. Empirische Daten für dieses heimliche Matriarchat nannte Külahci allerdings nicht. Statt dessen verglich er Statistiken und versuchte herauszuarbeiten, daß auch in der deutschen Gesellschaft Gewalt gegen Frauen ein Problem darstelle.

Gleichwohl er einräumte, in der Frage des Islam kein Experte zu sein, bestritt Külahci, daß die aufgetretenen gesellschaftlichen Probleme „irgendwie mit der Religion“ zu tun hätten. Die Frage, warum dann der türkische Staat den Islam so streng reglementiere, wo dieser politisch doch harmlos sei, wurde von Külahci offensichtlich nicht richtig verstanden. Statt dessen sprach er über den erfreulichen Demokratisierungsprozeß in der Türkei– ein Prozeß, der möglicherweise nicht unbedingt auf die Türken in Deutschland übertragbar ist. So gab Külahci unumwunden zu, daß diese im Vergleich zu ihrem Herkunftsland „rückständig“ seien.

Wie sich die türkischstämmige Bevölkerung hierzulande doch noch willkommen fühlen könne, beschrieb Külahci in seinem abschließenden Plädoyer. So wäre der EU-Beitritt der Türkei auch für diese ein „positives Signal“. Auch gemahnte er, daß 1963 im Ankara-Abkommen der Türkei die vollwertige Mitgliedschaft in Aussicht gestellt wurde. Külahci zeigte sich verwundert, daß „nach so vielen Jahren“ noch immer darüber debattiert wird, und stellte die „Ehrlichkeit“ der verantwortlichen Politiker in Frage.

Wenn aber Külahci die 44 Jahre andauernde Annäherung als viel zu lange empfindet und hier Unehrlichkeit vermutet – könnte man da nicht mit gleichem Recht eben das gleiche bei einer Migrationsgemeinschaft vermuten, die seit 46 Jahren hier lebt? Ein Verdacht, den auch Külahci mit seiner äußerst widersprüchlichen Darstellung nicht ausräumen konnte.


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