© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/07 02. März 2007

Der Heimat eine Chance
Bevölkerungspolitik: Mit dem Projekt „Zeitensprünge“ sollen mitteldeutsche Jugendliche davon abgehalten werden, in den Westen abzuwandern
Ekkehard Schultz

Auch im siebzehnten Jahr nach der Wiedervereinigung besteht in Mitteldeutschland ein massiver Mangel an Lehrstellen und Arbeitsplätzen. Um überhaupt eine berufliche Perspektive zu erhalten, ziehen gerade die Besserqualifizierten gen Westen. Verwandte und Bekannte folgen nach und verstärken den Abwanderungsprozeß aus dem kleinstädtischen Raum.

Erst in den vergangenen Jahren wurden Konzepte erarbeitet, die diesem Trend entgegenwirken sollen. Einen der jüngsten Versuche stellt das Projekt „Zeitensprünge“ dar, für welches die Stiftung Demokratische Jugend die Verantwortung trägt. „Zeitensprünge“ wendet sich an Jugendliche und will dieser Generation gerade in wirtschaftlich benachteiligten Regionen ein stärkeres Heimatgefühl vermitteln. Nur über die Stärkung dieses Gefühls sei eine stärkere Identifikation mit den Wurzeln möglich. Eine solche Bindung soll wiederum als „Haltefaktor“ wirken.

Auch der Werbeprospekt für das Projekt stellt den Begriff „Heimat“ in den Mittelpunkt. So heißt es darin einleitend: „Wir wollen mit euch gemeinsam versuchen, eure Heimat besser kennenzulernen. Und auch wenn es den einen oder anderen danach immer noch in die Ferne zieht: Heimat bleibt Heimat, wann immer du wiederkommst.“

Die Erfahrungen sind zwiespältig

Gleichzeitig gestehen die Verantwortlichen des Projekts ein, daß der Heimatbegriff bereits seit längerem in großen Teilen der Gesellschaft kaum noch eine Rolle spielt. Denn im Prospekt heißt es weiter: „Das kennt ihr wahrscheinlich auch: Wer von Heimat spricht, wird schnell schief angesehen oder schlimmer noch, gleich von Rechten angesprochen, ob man nicht in die Clique will. Leider wird dieser Begriff fast ausschließlich Rechtsorientierten überlassen und damit für alle anderen zu einem Tabuthema. Wir möchten den Begriff Heimat mit euch zusammen positiv besetzen …“

Das geeignete Mittel ist für die Stiftung Demokratische Jugend in erster Linie die Erforschung der Regionalgeschichte der jeweiligen Herkunftsregion. Dazu sollen die Mitglieder aus Kleingruppen selbständig in Archiven, Kirchen und Gemeindehäusern recherchieren und Zeitzeugen befragen. Themen sind unter anderem die Geschichte von Denkmälern, Wohn- und Geschäftshäusern, die Herkunft der Bezeichnungen von Straßen, Plätzen und Schulen sowie die Regionalhistorie eines Ortes.

Im Herbst 2005 starteten die ersten „Zeitensprünge“-Projekte. Wie ein Zwischenbericht zeigt, haben sich besonders Schülergruppen aus Städten mit einer Einwohnerzahl zwischen 6.000 und 80.000 Personen um Fördermittel des Bundesfamilienministeriums beworben. Die meisten Einzelprojekte beginnen den Blick in die Geschichte mit dem Blick in die Zukunft. So erforschte die Gruppe aus dem sächsischen Riesa nicht nur die Geschichte der lokalen Opposition gegen das SED-Regime, sondern auch, was heute aus den damaligen Treff- und Anlaufpunkten geworden ist.

In Wildau wurden Vertriebene befragt. Dabei erlebten die Jugendlichen, wie viele Zeitzeugen froh darüber waren, endlich ihre Erlebnisse von Flucht und Vertreibung erzählen zu können, die in der DDR nie thematisiert werden konnten.

Ein allgemeines Fazit über die Ergebnisse von „Zeitensprünge“ im Hinblick auf ihre eigentlichen Absichten zu ziehen, ist bislang noch nicht möglich. Als durchweg positiv bewertet die Stiftung Demokratischer Jugend, daß die meisten Teilnehmer der Projekte zur Bewertung ihrer Heimatregion nicht mehr nur den Mangel an Arbeitsplätzen als Kriterium heranziehen. Bei vielen entwickelte sich durch das Projekt auch eine „differenzierte Sicht auf Wachstums- und Stagnationszeiten“ der entsprechenden Umgebung, die nun nicht mehr ausschließlich das „Image einer Verliererregion“ trägt.

Was den gewünschten „Halteeffekt“ angeht, sind die Erfahrungen jedoch eher zwiespältig. Denn die stärkere Aktivität von Jugendlichen am Heimatort förderte zwar die Bildung eines stärkeren Selbstvertrauens.

Doch das Erlebnis von persönlichen Erfolgen erhöht sogar als solches die Abwanderungsneigung eher, als daß es diese bremst; sobald sich noch bessere Chancen „von außen“ bieten. Allerdings erhoffen sich die Koordinatoren von „Zeitensprünge“, daß die stärkeren personellen und vor allem emotionalen Bindungen an die Heimat gleichzeitig die Neigung zu einer späteren Rückkehr verstärken.

Mehr Informationen zum Projekt im Internet: www.zeitenspruenge.org


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