© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/07 02. März 2007

Millionen sollen in die Schrottpresse
Umweltpolitik: Die Kennzeichnungsverordnung bringt schwere Zeiten für Sparer, Pendler und Oldtimerfreunde
Michael Weis

Kein Sprinter, aber ein Sparer ist der Diesel mit 48 PS: als Fünf-Liter-Auto heute noch ein Sparkönig unter den Kleinen“, urteilte Auto Bild 1998 über den bis 1994 gebauten VW Polo II. Der neue Porsche Cayenne Turbo verbraucht laut EU-Norm (80/1268/EWG) innerstädtisch 22,5 Liter Benzin pro 100 Kilometer. Dennoch darf der alte „Sparer“-Polo demnächst nicht mehr in den Städten fahren. Der „durstige“ Porsche, der mit einem CO2-Ausstoß von 358 Gramm pro Kilometer fast das Dreifache des EU-Ziels (JF 9/07) emittiert, aber dank „fortschrittlichster Abgastechnologie“ die strenge Abgasnorm EU 4 erfüllt, darf dies weiterhin.

Denn am 1. März tritt die (BGBl. I. S. 2218 vom 10. Oktober 2006) in Kraft. Die neue Kennzeichnungsverordnung erlaubt den Kommunen, „Umweltzonen“ auszuweisen, in denen nur Fahrzeuge fahren dürfen, die laut staatlicher Klassifizierung besonders niedrige Feinstaub-Emissionen produzieren. Dazu werden alle Kfz anhand ihrer Emissionsschlüsselnummer im Fahrzeugbrief in Gruppen eingeteilt und mit entsprechenden Plaketten versehen (siehe Graphik). Wagen ohne diese Plakette bleibt in der Folge zukünftig der Weg in die jeweiligen Zonen versperrt, egal wie hoch der tatsächliche Schadstoffausstoß ist. Dauerhafte Ausnahmen wird es nur für Motorräder, Traktoren, Krankenwagen, Polizeiautos, Feuerwehren und den Katastrophenschutz geben.

Städte wie Berlin, Stuttgart, Düsseldorf, Köln und München haben bereits reagiert und werden ab Mitte 2007 Umweltzonen bzw. „selektive Fahrverbotszonen“ einrichten und mit neuen Schildern markieren (siehe Abbildung). So wird die Umweltzone in Berlin ab 2008 den kompletten inneren S-Bahn-Ring umfassen und so eine Einfahrt auch für Oldtimer mit Sonderkennzeichen nahezu unmöglich machen.

Inwieweit Ausnahmeregelungen für Anwohner getroffen werden, steht derzeit vielerorts genausowenig fest wie die Anzahl der bundesweit betroffenen Fahrzeuge. Keine der verantwortlichen Stellen konnte diesbezügliche Anfragen der JF mit Sicherheit beantworten. Schätzungen zufolge könnten aber bundesweit neun bis elf Millionen Fahrzeuge unterhalb der Mindestanforderungen für eine Plakette liegen, was nahezu jedem fünften Auto entspräche. Etwa 300.000 Autos in Deutschland sind älter als 30 Jahre und somit Oldtimer, die selbst mit Umbauten die Umweltzonen-Grenzwerte für die nicht einhalten können.

In der Region Stuttgart werden beispielsweise über 300.000 Fahrzeugbesitzer betroffen sein, wenn Autos der untersten Schadstoffgruppe Euro 1 nicht mehr im Stadtgebiet fahren dürfen. Im Stadtgebiet sind 54.000 Fahrzeuge betroffen, darunter 40.500 Benziner.

Dies kommt indirekt einer Enteignung gleich. Schließlich wird der Wert all jener Fahrzeug, die von den Verboten betroffen sind, durch die stark eingeschränkte Nutzbarkeit rapide sinken. Besonders ärmere Menschen, die sich kein umweltfreundlicheres neues Auto leisten können, werden so mit voller Wucht von der staatlichen Zwangsmaßnahme getroffen. Dasselbe gilt für viele Pendler, die gerade wegen der niedrigeren Spritpreise und des geringeren CO2-Ausstoßes in den letzten zehn Jahren auf Dieselfahrzeuge gesetzt haben.

Dabei ist der Nutzen für die Umwelt äußerst gering. Denn ein Großteil der von der Stillegung betroffenen Fahrzeuge sind Benziner mit älterem Katalysator, die dennoch nahezu keinen Feinstaub ausstoßen. Sie fallen folglich ohne Grund oder Nutzen unter die Verordnung, während uralte Dieselfahrzeuge von staatlichen Einsatzkräften weiter durch die Straßen rollen dürfen. Hinzu kommt, daß viele der schlecht eingestuften Dieselfahrzeuge zwar etwas mehr Feinstaubwert ausstoßen, aber dafür in bezug auf Verbrauch und anderen Schadstoffausstoß umweltpolitische Verbrauchsvorteile bieten.

Die neue Verordnung ist also nicht nur ein schwerer Schlag für alle Kraftfahrzeugbesitzer, die einen massiven Wertverlust verschmerzen müssen. Sie ist dabei konzeptionell unausgewogen sowie in vielen Teilen völlig absurd. Denn die guterhaltenen „Feinstauber“ wandern nicht in die Schrottpresse, sondern nach Osten: Auf dem Warschauer oder Minsker Automarkt ist der „Sparer“-Polo garantiert gefragt.


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