© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/07 02. März 2007

Pankraz,
Professor Zipple und das Froschsterben

Wer schreit, lenkt ab. Der „mediale Diskurs“ kennt zur Zeit nur ein Thema: die – hypothetische, potentielle, prognostizierte – „Klimakatastrophe“. Unterdessen vollzieht sich in seinem Schatten eine wirkliche, eine ebenso reale wie aktuelle und globale Katastrophe; der internationale Zoologen-Kongreß vorige Woche in Atlanta hat es an den Tag gebracht. Die Frösche sterben aus, und zwar weltweit und mit rapider Geschwindigkeit. Bald hat sich’s allerorten ausgequakt.

Ursache ist nicht das Klima, sondern ein heimtückischer, noch unerforschter Pilz namens Chytrida, der die Tiere wie Schimmel überzieht und durchdringt und ihre sämtlichen Lebensimpulse zum Erliegen bringt. Schon die Hälfte der etwa 6.000 identifizierten Froscharten, erfuhr man in Atlanta, sei befallen, alle Gattungen seien gleichmäßig betroffen, von den voluminösen Ochsen- und Gigantenfröschen bis zu jenen winzig kleinen Baumsteiger-Fröschelchen, die ihr ganzes Leben im Kelch einer einzigen Urwaldblume verbringen und darin ihr Auskommen finden.

Es sei eine schreckliche Tragödie, sagen die Forscher. Aber das Mitleid des Normalbürgers hält sich trotzdem in engen Grenzen, nicht nur weil er mit der Klimakatastrophe beschäftigt ist, sondern offenbar auch aus ästhetischen, gleichsam morphologischen Gründen. Die Froschlurche sind faktisch die einzige Wirbeltierordnung, die den Menschen dezidiert gleichgültig läßt, die er weder liebt noch haßt, nur verachtet, über die er sich nur lustig macht, vor der er sich allenfalls ekelt.

Gründe gibt es viele. Bereits die Gestalt dieser Lurche reizt zum Lachen. Da ist nichts von der üblichen Stromlinie, keine schönen Augen, keine samtige Haut, kein kuscheliger Pelz, kein feines Federkleid, nicht einmal eine ordentliche Gliederung des Rumpfes in Kopf, Brust, Rücken, Bauch, Hinterteil. Vielmehr gibt es nur einen dicken Bauch mit Glupschaugen vorne dran, ein spaltschmales, furchtbar breites Maul und dünne, grotesk lange Hintergliedmaßen. Die Haut ist schleimig und von Warzen übersät, oft giftig und manchmal grell und chaotisch bunt.

Die Bewegung der Frösche, das diskontinuierliche Hüpfen, ist ohne jede Anmut und Eleganz, und selbst ihr Schwimmen wirkt, verglichen mit dem der Fische oder Delphine, gewaltsam und angestrengt. Natürlich ist es „praktisch“, genau der Umwelt angepaßt. Frösche waren am Anfang durchweg Tiere des Übergangs vom Wasser zum festen Land, Tiere des Morastes, der Mangrovensümpfe, des Gezeitensandes und des Schwemmlands, wo man weder richtig schwimmen noch richtig laufen kann. Die Natur hat sie also „genau umweltgemäß“ ausgestattet. Aber sie hat dabei – was sie eigentlich selten tut – die Gesetze der Schönheit konsequent ignoriert.

Am schlimmsten dokumentiert sich das beim Liebesspiel. Die riesigen äußeren Lautblasen der Froschmännchen, die das Quaken produzieren, sehen lächerlich, bestenfalls rührend komisch aus, und das Quaken selbst, mit dem die Weibchen angelockt werden, rangiert, was Naturmusik betrifft, wohl ganz hinten auf der Skala der Wohllaute. Man ist versucht, sich über den schlechten Geschmack der Froschdamen zu wundern, muß sich dann jedoch klarmachen, daß es hier gar nicht um Dame oder Kavalier geht.

Froschquaken gilt nicht speziell den Damen, es ist vielmehr Aufruf und Versammlungstrompete für eine Massen-Orgie, wo blindlings durcheinandergehurt wird. Frösche sind reine Quantitätstiere, sie orientieren sich nicht an Formen, Düften oder anderen Qualitäten, sondern einzig an der Größe ihres lebendigen Gegenübers. Ist es größer als sie selbst, so ist es ein überlegener Feind, vor dem man Reißaus nimmt. Ist es kleiner, so ist es eine Beute, die man verschlingt. Ist es gleichgroß, so ist es ein Sexpartner, und man umarmt es, egal ob Weibchen, Männchen oder schwimmender Holzklotz.

Zur Verachtung des Froschgeschlechts seitens der Menschen hat aber auch beigetragen, daß es an menschlichem Maß gemessen keine bedrohlichen Riesenformen von ihm gibt und wohl auch nie welche gegeben hat. Wir mußten nie vor Fröschen Angst haben. Andererseits schmecken sie auch nicht sonderlich gut, wir haben nie systematische Jagd auf sie gemacht, und so gab es auch keine mythologische Überhöhung. Das harmlos-drollige Märchen vom Froschkönig ist der einzige „Mythos“, der sich auf die Froschwelt bezieht.

Bestimmte Naturvölker gewannen freilich aus dem Hautschleim einiger Arten, z. B. Phyllobates terribilis („der schreckliche Baumsteiger“), das berüchtigte Pfeilgift, mit dem sie auf Beutetiere und auch auf andere Menschen schossen. Das erhöhte die Verachtung, die der Gattung widerfuhr, obwohl die Frösche gewissermaßen nichts dafür konnten. Ihre Haut war giftig, weil sie in ihrem natürlichen Biotop giftige Ameisen und Schmetterlinge verspeisten. Als Forscher sie einfingen und im Terrarium ungiftig ernährten, verloren sie ihre Giftigkeit. Aber da war es zur Aufbesserung ihres Rufes längst zu spät.

Der gegenwärtigen Misere könnte wahrscheinlich nur begegnet werden, indem die Froschforscher sich entschlössen, die grassierende Froschpest medial wirkungsvoll mit der Klimakatastrophe zu verbinden. Der unheimliche Chytridpilz, so könnten sie beispielsweise zu Protokoll geben, sei eindeutig durch die Erwärmung des Weltklimas aktiv geworden, und eine üppige staatliche bzw. mäzenatische Finanzierung der Frosch-Chytrid-Forschung würde einen entscheidenden Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Leider läßt der Verlauf des Zoologen-Kongresses in Atlanta nicht auf solchen Durchbruch hoffen. Kevin Zipple, der Präsident der Veranstaltung, warnte im Gegenteil eindringlich vor jeder voreiligen Verallgemeinerung und appellierte an die angereisten Gelehrten, kaltblütig und sachlich zu bleiben und dem „Eros der Wissenschaft“ den Vorzug vor jeder bloßen Propaganda zu geben. Mit solchen Appellen ist heutzutage weder den Gelehrten noch den Fröschen gedient.


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