© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/07 09. März 2007

Ohne prägnantes Thema
EU-Ratspräsidentschaft: Die Klimapolitik bewirkt vor allem Ablenkung
Bernd-Thomas Ramb

Klimakatastrophe sei das Thema des EU-Frühjahrsgipfels unter deutscher Ratspräsidentschaft, so der Wille der Bundeskanzlerin Merkel. Warum nicht, Rinderwahn und Vogelgrippe sind nicht mehr aktuell und die Klimakatastrophe eine dankbare Abwechslung von den nervenaufreibenden Hartz-IV-Diskussionen und anderem politischen Unbill des Alltags. Das Merkelschen Menetekel des CO2-Kollaps reiht sich prächtig ein in die sich zunehmend beschleunigende Abfolge moderner Politik-"Events".

Thema (Klima) und Anlaß (EU-Politik) lohnen indes aus Gründen, die über das Exemplarische hinausgehen, eine genauere Betrachtung. Die Kassandrarufe einer Klimakatastrophe stammen von der Uno, einer nicht bei allen Staaten und Menschen kritiklos akzeptierten Instanz. Das ins Kalkül zu werfen, widerspricht jedoch der verordneten Politischen Korrektheit. Unabhängig davon wagen ungebundene Wissenschaftler den sachlichen Widerspruch. Die Klimaänderungen bewegen sich im durchaus üblichen Rahmen und beeinträchtigen nur wenige Weltregionen über das tolerable Maß hinaus. Aber das sind für die Medien keine "verkaufbare" Nachrichten. Früher galt: "Crime sells", heute: "Disaster sells".

Immerhin bekennen die Uno-Wissenschaftler, die von ihnen prognostizierte Klimakatastrophe sei (nur) zu 90, vielleicht sogar 95 Prozent von den Menschen verursacht. Es besteht somit ein zugegebenes Restrisiko von 5 bis 10 Prozent, daß die Menschen überhaupt keinen Einfluß darauf haben. Für die Umweltschutzaktivisten ist dies kein stichhaltiges Argument. Zu gering ist ihnen offensichtlich die Irrtumswahrscheinlichkeit. Ihnen nach müssen sofort und allumfassend politische Maßnahmen zur Rettung des Klimas getroffen werden - natürlich nur, wenn sie der umweltpolitischen Korrektheit entsprechen. Atomkraftwerke (insbesondere vom Typ "Schneller Brüter" mit Plutoniumbrennstäben!) bieten eine CO2-minimierende Energieerzeugung und sind nicht nur zu 90 bis 95 Prozent sicher. Das Restrisiko liegt im Bereich des Bruchteils eines Promilles. Die klimabewußten Aktivisten nehmen jedoch schon diesen Wert zum Anlaß, ein generelles Verbot zu fordern.

Die realistische Abwägung von Kosten und Risiken spielte bei Umweltfanatikern noch nie eine Rolle. Fatal ist jedoch, daß sich mittlerweile die höchsten Regierungskreise auf dieses Niveau der Konfliktbewältigung herabgelassen haben. Die Bundeskanzlerin scheut sich daher nicht zu fordern, die ohnehin schon überdurchschnittlichen Anstrengungen der europäischen Länder in Sachen Klimaschutz und Reduktion der sogenannten Treibhausgase nochmals zu verschärfen - koste es, was es wolle. Ein ökonomisches Grundgesetz besagt, daß mit zunehmendem Ertrag (der Emissionsverhinderung) die Kosten überproportional ansteigen. Die deutschen ökologischen Fundamentalisten beeindruckt dies jedoch kaum. Statt Milliarden Euro direkte und indirekte Kosten für ein wenig zusätzliche Luftverbesserung in Deutschland zu verpulvern, könnten mit dem gleichen Betrag Dutzende chinesischer oder indischer Kraftwerke mit modernster Luftreinhaltungstechnik ausgestattet werden. Deutschland könnte diese sogar verschenken und würde dabei mehr an Umweltqualität gewinnen.

Wo ökonomische Rationalität auf der Strecke bleibt, wuchert schnell technische Irrationalität. Das fängt beim Raps-Diesel an, dessen Ökobilanz bei objektiver Rechnung negativ ausfällt. Die Verteufelung von Flugreisen und der Vorschlag, die Glühbirnen abzuschaffen, sind die Zwischenschritte auf dem Weg zur ökologischen Hysterie. Schon wird die Senkung des Verbrauchs von Rindfleisch und Molkereiprodukten gefordert, weil die Tiere Methangas ausdünsten. Als nächstes sollte (ideo-)logischerweise das weltweite Verbot des Verzehrs von Hülsenfrüchten stehen, um die Bildung von Blähungen zu verhindern. Nicht zu vergessen, die Betonversiegelung von aktiven Vulkanen.

Die Bundeskanzlerin erhebt die ökonomisch irrationale Behandlung des Reizthemas Klimakatastrophe zum europäischen Anliegen ihrer Ratsherrschaft. Was durchaus politisch rational sein kann. Die Möglichkeit zur Ablenkung von tatsächlich großen politischen Problemen wie Staatsverschuldung, Bildungsrückschritt und Kulturverlust, wird von Deutschland auf Europa übertragen. In vielen Ländern, vor allem in den großen EU-Staaten, sind die elementaren Staatsprobleme ähnlich strukturiert und ausgeprägt wie in Deutschland. Frankreich, Großbritannien und Italien drohen ebenso der nationale Bevölkerungsschwund, der Zusammenbruch der Sozialsysteme, Kulturkämpfe und Aufstände eines neuformierten Armutsproletariats. Die Option einer spektakulären Politikfinte könnte daher auf starkes Interesse der anderen EU-Staaten stoßen.

Andererseits ist die Bundeskanzlerin aber auch um ein prägnantes EU-Thema verlegen. Die vollmundige Ankündigung, Deutschland werde während seiner - bereits zur Hälfte verstrichenen - Amtsperiode als EU-Präside den allseits ungeliebten und durch mehrere Volksabstimmungen abgeschmetterten Verfassungsvertrag voranbringen, könnte damit willkommener Vergessenheit anheimfallen. Die Bundeskanzlerin hätte so ihre unabwendbare Degradierung als Verwalterin deutsch-europäischer Hilflosigkeit erfolgreich durch ein scheinaktivistisches Weltrettungsmanagement kaschiert.


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