© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/07 09. März 2007

Nur ein "Rollback" löst die Krise
Tagung: "Stimme der Mehrheit" formuliert in Fulda kontrovers Thesen zu Erziehung, Demographie und Kirche
Dieter Stein

Wie ist die Lage? Welche Auswege aus der Krise gibt es? Diesen Fragen stellte sich am vergangenen Samstag aus konservativer Sicht eine Tagung des Autorenverbandes "Stimme der Mehrheit" im Bund der Selbständigen (BDS). Vor rund 300 Zuhörern zitierte der Historiker Karlheinz Weißmann den englischen Moralisten Gilbert Keith Chesterton: "Es heißt immer, man könne die Uhren nicht zurückdrehen. Aber wenn sie falsch gehen, kann man genau das machen: sie zurückdrehen."

"Überall wird Schwäche als Liberalität ausgegeben"

Mit neun Thesen zur Erziehung setzte sich Weißmann mit dem Niedergang familiärer und staatlicher Erziehung und Bildung unter dem aktuellen Blickwinkel von Pisa-Debatte und Supernanny-Hype auseinander. Der dramatische Verfall von Autorität und Ordnung lasse sich nur durch ein gesellschaftliches "Rollback" stoppen, eine Rückkehr zu vergangener Normalität. Weißmann kritisierte insbesondere das fehlende Vorbild von Erwachsenen, die ein falsches Beispiel geben: "Überall wird Schwäche als Liberalität ausgegeben, haben sich die Institutionen damit arrangiert, daß Regeln nicht eingehalten werden und der Regelverstoß überhaupt nur noch geahndet wird, wenn das öffentlichkeitswirksam ist."

Der Journalist Karl Feldmeyer widmete sich in einer schonungslosen Analyse dem gesamteuropäischen, vor allem aber deutschen demographischen Niedergang. Nüchtern trug er das statistisch voraussagbare Auslöschen des Volkes innerhalb von Jahrhundertfrist vor - wenn sich nichts ändere. Hauptursache für den demographischen Selbstmord der europäischen Völker sei der Abschied von der traditionellen Familie infolge eines Hedonismus, der auch schon für das späte Kaisertum des Römischen Reiches kennzeichnend gewesen sei: "Das Carpe diem war schon die Parole dieser Zeit."

Als deutsche Besonderheit der demographischen Krise machte Feldmeyer den Mangel an Nationalstolz aus. "Hitlers Bruch mit allen kulturellen Bindungen und Normen" und der daraus folgende Völkermord, die Aufkündigung des Rechts und Ersetzen durch Willkür habe einen "Langzeitschock hinterlassen, der bis heute nachwirkt". Ein "komplexfreies Verhältnis zur eigenen Nation zu entwickeln", davon seien die Deutschen weit entfernt, dies sei aber eine der Voraussetzungen, dem Einzelnen über pure Selbstverwirklichung hinaus etwas für sein Leben Sinnstiftendes zu vermitteln: durch den Dienst zunächst an der Familie, dann aber auch im Einsatz für die Nation. "Dieser Stolz und das damit verbundene Urvertrauen in die eigene Nation gaben den Deutschen auch die Kraft, in Krisen zu bestehen."

Welche Dimension das Religiöse für den intakten Zusammenhalt einer Gemeinschaft hat, umriß Hans Apel (SPD), letzter Bundesverteidigungsminister unter Bundeskanzler Helmut Schmidt. Apel schilderte die Motive für seine Abkehr von der Evangelischen Landeskirche (siehe auch das Interview auf Seite 3) und verurteilte scharf die Glaubensferne der EKD, die in vielen Punkten vor dem Zeitgeist in die Knie gegangen sei.

Im Gegensatz zu Feldmeyer sah Apel jedoch zur Politik weiterer Zuwanderung keine realistische Alternative, um die Bevölkerungszahl zu sichern. Deutschland stehe jetzt vor der überfälligen Aufgabe, die Integration von Millionen Ausländern auch umzusetzen. Er unterstütze deshalb Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit ihrer Forderung nach Ausweitung des Krippenplatzangebotes und befürworte eine Kindergartenpflicht, um die Vermittlung der deutschen Sprache unter Einwandererkindern zu erzwingen.

Dieser These mochten manche Zuhörer nicht folgen. Den von Weißmann festgestellten zunehmenden Mangel an Benimm unter Erwachsenen unterstrich eine kleine, aber lautstarke Gruppe im Auditorium, der Tagungsleiter Gerd Schultze-Rhonhof schließlich einen Saalverweis androhen mußte, um sie zur Räson zu bringen.

Foto: Hans Apel (l.), Karl Feldmeyer: Urvertrauen, Krisen zu bestehen


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