© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/07 09. März 2007

Pankraz,
die Numerologen und des Teufels Siegel

In der Stadt Stawropol in Rußland kämpft zur Zeit eine Mutter wie eine Löwin um eine "ordentliche, christliche Registriernummer" für ihr neugeborenes Töchterchen. Das örtliche Einwohnermeldeamt hat dem Mädchen routinemäßig die Nummer 666 zugeteilt, und damit ist die Mutter überhaupt nicht einverstanden. 666, sagt sie, sei bekanntermaßen das Siegel des Teufels und geradezu Gotteslästerung. Nie werde sie es hinnehmen, daß ihre Tochter mit dieser Unheilszahl stigmatisiert werde.

Die Medien in Stawropol und näherer wie fernerer Umgebung nehmen regen Anteil an dem "Registriernummer-Streit". Wie es der Zufall manchmal will, las Pankraz die Meldung gerade, als er im Aufzug eines neu erbauten Hochhauses nach Stockwerk Nummer 14 unterwegs war. Soeben hatte er Nummer 12 passiert, da wich die Tür schon zurück, und er war in Nummer 14. Es gab in dem Haus kein dreizehntes Stockwerk, offenbar weil bei uns die 13 als Unheilszahl gilt, der man sich möglichst nicht ausliefern will.

Unser moderner Alltag ist voll von Angst vor Unheilszahlen, besonders vor der 13. In Flugzeugen oder auf Kreuzfahrtschiffen gibt es keine Sitzreihen bzw. Decks mit der Nummer 13. Auch in Krankenhäusern wird auf die Zimmernummer 13 verzichtet, wie im (Motor-)Sport auf die Startnummer 13. Weiter östlich, nämlich in China, gibt es keine Zimmer, Sitzreihen oder Decks mit der Nummer 4; die 4 ist dort Todessymbol, während die 8 als Glückszahl betrachtet wird, wie bei uns die 7.

Sowohl bei uns als auch in China kommen alljährlich Dutzende, wahrscheinlich Hunderte von Neuerscheinungen über "Numerologie" heraus, also über die (wirkliche oder eingebildete) Schicksalsmacht von Zahlen und Zahlenkonstellationen. Es gibt "wissenschaftliche" Kurse zur Einführung in die Numerologie, es gibt numerologische Handbücher und Lexika. Gelernte Mathematiker rümpfen darüber die Nase, aber das, was sie selber betreiben, ähnelt oft verzweifelt den Fingerübungen und Gedankenspielen der Numerologen. Die Grenzen zwischen Numerologie und Mathematik sind unscharf geworden.

Mathematiker kennen inzwischen fast unendlich viele Zahlentypen, und fast alle diesen Typen haben eine dunkel-rätselvolle, vielfach auslegungsfähige Rückseite. Man spricht von "abundanten" Zahlen und von "befreundeten" Zahlen, von "defizienten" und von "hyperreellen", von "surealistischen", "vollkommenen" und von "Schnapszahlen". Im notorisch zahlreichen Geschlecht der berühmten Primzahlen unterscheidet man u.a. zwischen "illegalen" und "zwillingshaften" Primzahlen sowie "Pseudo-Primzahlen", und zwar sowohl "schwachen" wie "starken" Pseudo-Primzahlen nebst deren Zwillingen.

Von den surrealistisch befreundeten Primzahl-Zwillingen der Mathematiker ist es wirklich nur noch ein kleiner Schritt bis zur glückverheißenden 7 der Numerologen. Die großen Mathematiker der Frühzeit, von Pythagoras bis Leibniz, haben sich denn auch nie gescheut, das eine mit dem anderen zusammenzudenken. Die Zahl war für sie nicht nur praktisches Kerbzeichen beim Alltagsrechnen, sondern auch unüberbietbares Symbol für jene Kraft, die die Welt im Innersten zusammenhält. Nicht das "Atom", also ein angeblich unteilbares, letztes "Teilchen", stand ihrer Meinung nach am Anfang der Welt, sondern eben die Zahl, die sie faktisch mit Gott identifizierten.

"Das Buch der Natur ist in Zahlen geschrieben" - dieser weltumstürzende Satz der Kepler und Galilei im siebzehnten Jahrhundert nach Christus wurde zum ersten Mal von den Pythagoreern des sechsten Jahrhunderts vor Christus gedacht. Die Reihe der Zahlen und die strenge Ordnung der geometrischen Verhältnisse erschien diesen Ur-Numerologen als die eigentliche Pointe des Weltlaufs, und jede einzelne Zahl war folglich als Schicksalszeiger befragbar und sollte von klugen Familienvorständen und anderen Führern bei ihren Entscheidungen berücksichtigt werden.

Bewies doch schon der Lauf der Gestirne, daß er ganz bestimmten Zahlenverhältnissen gehorchte, genau wie die Musik, die ja von Anfang an ein mächtiges gesellschaftliches Stimulanz war und deren Harmonien - wie die Sternenbahnen - mathematisch berechnet und planvoll in Oktave, Terz oder Quart aufgeteilt werden konnten. Freilich, die Welt bestand nicht nur aus Harmonien, und auch das zeigten die Zahlen. Es gab solche und solche, und man war gut beraten, sich darauf einzustellen.

Aus der Eins strahlte der Ur-Anfang, das Göttliche schlechthin. Die Zwei war Symbol der Verdoppelung, und so stand sie sowohl für Schöpfung (positiv) wie für unausweichliche Entzweiung (negativ) - ein sphinxhaftes Doppelwesen, das man verehren mußte, dem man aber lieber nicht zu nahe trat. Die Drei markierte hingegen wieder das Umfassende, die Familie, Mehrung und Vermittlung. Die meisten Religionen und Denksysteme feiern diesen Dreiklang: Osiris, Isis, Horus in Ägypten; Brahma, Wischnu, Schiwa in Indien; Vater, Sohn, Heiliger Geist im Christentum; Thesis, Antithesis, Synthesis in der deutschen Klassik.

Die 7 wird deshalb so geliebt, weil sich Fülle und Vollendung in ihr abspiegeln; es gibt sieben Wochentage, sieben Körperöffnungen, sieben Tugenden, sieben Weltwunder. Und die 13 wird deshalb so gefürchtet, weil sich in ihr ruchloser Abstieg in Höllengründe offenbart. Die babylonische Unterwelt hatte dreizehn Folterkammern; das dreizehnte Kapitel der Johannes-Offenbarung handelt vom Antichristen; die jüdische Kabbala kennt dreizehn böse Geister.

So könnte man numerologisch noch lange fortschreiten, und die Numerologen tun das auch, denn die Zahl der Zahlen und speziell der Primzahlen ist unendlich, man kommt hier, wie in der "richtigen" Wissenschaft auch, zu keinem Ende. Warum ausgerechnet die Nummer 666 ein Siegel des Teufels ist, wissen wohl nur Bibelforscher, was natürlich nicht gegen den Protest jener Mutter in Stawropol spricht. Deren Kampf ist vielleicht drollig, aber er ist rein. Das Einwohnermeldeamt sollte ein Einsehen haben.


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