© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/07 09. März 2007

Wappenschild jeglicher Politik
Ein wahrer Herrscher: Das Modell Cesare Borgia überdauert alle Zeiten
Günter Zehm

Der Maler und sein Modell - allein unter diesem Aspekt läßt sich seriös und ertragreich über Cesare Borgia sprechen, der vor fünfhundert Jahren, am 12. März 1507, bei einem Scharmützel in Spanien ums Leben kam. Cesare war nichts als ein Modell, aber als solches überlebensgroß und die Zeiten überdauernd. Dergleichen hat es kaum je gegeben.

Sein Erdengang war kurz und stürmisch, er wurde gerade mal einunddreißig Jahre alt, und von seinen Taten und Worten ist nichts geblieben. Indes, sein Zeitgenosse, der große florentinische Politologe Niccolò Machiavelli (1469 -1527), hat ihn zum Anlaß und zum Demonstrationsobjekt für sein weltberühmtes Buch "Il Principe", "Der Fürst", genommen, und eben als dieser "Fürst", also als Inbegriff eines perfekten Herrschers und sprichwörtlichen Machtmenschen, wird Cesare Borgia noch heute wahrgenommen.

In der populären Verkürzung heißt das freilich nicht viel mehr als: Rücksichtslosigkeit, Immoralität, über Leichen gehen. Die Politik in toto, so das Klischee, sei im Grunde nichts als Lüge, Täuschung, Treulosigkeit, Mord und Totschlag, und Cesare Borgia sei derjenige gewesen, der das erstmals in typischer Weise, geradezu lehrbuchhaft, vorgeführt hat. Machiavelli habe das nur aufschreiben müssen. Wer in der Politik Erfolg haben wolle, der müsse Machiavelli lesen und sich Cesare Borgia irgendwie heimlich zum Vorbild nehmen. Anders gehe es nicht.

An dieser Perspektive stimmt allenfalls die Hälfte. Ob Cesare ein überzeugter Immoralist war, wissen wir nicht; die Quellenlage ist äußerst dürftig. Von außen betrachtet, unterschied er sich kaum von anderen Kriegsherren und Clanführern, die zu jener Zeit in Italien von sich reden machten, von all den Sforzas und Manfredis, Orsinis und Malatestas, Montefeltres und Caetanis, die durch die Bank nur ihre eigenen Interessen und die Interessen ihres Clans betrieben und ihre ewigen Kämpfe gegeneinander mit edlen Phrasen verzierten.

Cesares "Unglück", wenn man will, lag darin, daß er der Sprößling eines besonders auffälligen Geschlechts war: der aus Spanien zugezogenen Borgias, die schon seit Papst Calixtus III. Zeiten ausgerechnet den Vatikan zu ihrer Operationsbasis erkoren hatten und deshalb natürlich unter besonderem Zwang standen, ihre Machtpolitik, ihre Fehden, Mordanschläge und Intrigen mit christlichen Werten und Worten in Übereinstimmung zu bringen.

Der Vater von Cesare war Papst Alexander VI., durch die Hilfe der damals mächtigen Sforzas zu Würden gekommen und von 1492 bis 1503 regierend. Alexander fröhnte, dem Stil der Borgias gemäß, einer wahrhaft gigantischen Vetternwirtschaft, handelte mit Bischofsmützen und Kardinalshüten wie mit Äpfeln und Birnen und war selbstredend vor allem bemüht, seine eigenen (fünf) Kinder vorteilhaft in Stellung zu bringen. Mit sechzehn war Sohn Cesare Bischof, mit achtzehn Kardinal, mit einundzwanzig gar weltlicher Herzog.

Die Talente des jungen Mannes lagen von Anfang an eindeutig auf militärischem Gebiet. Er verbündete sich mit dem berühmt-berüchtigten Condottiere Miquel de Corella, stellte sich an die Spitze eines kleinen Söldnerheeres und eilte mit ihm von Sieg zu Sieg, wodurch er sowohl Einfluß wie Territorium des Kirchenstaates dramatisch erweiterte. Mit dem Tod des Vaters, Papst Alexanders, sank sein Stern, und nach dem eigenen frühen Tod blieb ihm zunächst nur der böse, rachsüchtige Ruf erhalten.

Er war stets ein strenger, harter Heerführer gewesen, den selbst die eigenen Truppen mehr fürchteten denn liebten. Nun erzählte man sich auch von heimtückischen Giftanschlägen, von Brudermord und blutschänderischen Sex-Abenteuern. Machiavelli allerdings, der ihn von Florenz aus genau beobachtete, weiß in seinem Buch nichts davon, er sah nur die Härte und die gleichsam gnadenlose Zielstrebigkeit im politisch-militärischen Handeln des jungen Mannes. Und sie gefielen ihm. So und nicht anders stellte er sich den wahren Herrscher vor.

Cesare war appolinisch schön von Gestalt und Angesicht. Er hatte schon als Junge ein schier sagenhaftes Organisationstalent an den Tag gelegt, war mutig und vorsichtig zugleich, wußte seine Gefühle perfekt zu zügeln und zu verbergen. Das Herrschen machte ihm ganz offenbar keinen "Spaß", sondern es war die angeborene Äußerungsform seines innersten Wesens. Cesare Borgia war geradezu die Inkarnation politischer Rationalität, ein ungeheuer moderner und - wie Machiavelli meinte - höchst notwendiger Typ.

Politische Herrschaft war für Machiavelli keineswegs eine Sache "an sich", die es um ihrer selbst willen zu analysieren galt; vielmehr sah er sie als notwendiges Moment einer durch Herkunft und Tradition verbundenen Menschengemeinschaft (Polis, res publica. Staat), welche sich ständig in der Spannung zwischen Aufstieg und Verfall befand, zwischen "virtù" und bloßer "fortuna", wie er formulierte. "Virtù" war der Wille des einzelnen oder der Kollektive, alles für die Stabilität und Blüte der Polis zu geben, und der Brennpunkt der "virtù" lag im herausgehobenen einzelnen, dem "uomo virtuoso", dem folglich die Rolle des "principe" zustand.

Der "uomo virtuoso" wußte über die Wankelmütigkeit und Verführbarkeit der Menschennatur Bescheid, er wußte, daß sie unbequemen, aber notwendigen Entscheidungen ausweicht, sie immer wieder vertagt und zerredet und daß also jeder gute Herrscher solche Entscheidungen schnell, energisch und frühzeitig fällen und durchsetzen muß. Er wußte auch, daß es den Polis-Mitgliedern zwar nie ganz schlecht, nie aber auch zu gut gehen darf, weil dann "fortuna" Macht gewinnt samt Schlendrian und Anarchie. Gute Herrscher sind nach Machiavelli immer strenge Herrscher, streng gegen das Volk, strenger gegen Opponenten, am strengsten gegen sich selbst.

Das Idealbild des "uomo virtuoso" aber, den "virtù"-Träger schlechthin, sah Machiavelli in dem schönen, kalten und energischen Cesare Borgia, Herzog von Urbino, verkörpert, den er als Gesandter von Florenz auch einmal persönlich traf und mit dem er ein langes Gespräch führte. Schade, daß er nichts Näheres darüber mitgeteilt hat. Viele Mißverständnisse in der Machiavelli-Forschung und in der Politologie sowie in der Politik selbst wären dadurch vielleicht vermieden worden.

Soviel ist immerhin klar und gilt auch für heutige demokratische Zeiten: Politiker müssen von "virtù" beseelt sein, von echtem Gemeinsinn, gebändigtem Machtbewußtsein und präzisem Entscheidungsmut. Sie dürfen sich keine Illusionen über die Natur des Menschen machen, dürfen sich nicht von Phrasen einnebeln lassen und noch weniger von Schmeichlern und anderen "Freunden". Sie müssen kaltblütig und sachlich bleiben. In ihr Wappen gehört vielleicht nicht der leibhaftige Cesare Borgia, wohl aber das Bild, das Machiavelli von ihm überliefert hat.

Foto: Altobello Meloni zugeschriebenes Gemälde von Cesare Borgia: Der Giftbecher stand ihm nicht


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