© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/07 09. März 2007

"Fanatischer Haß auf die DDR"
Debatte um Ulrich Schacht
Thorsten Thaler

Zur Ausgrenzung Einzelner und als Instrument der Herrschaftssicherung gehört die Denunziation ins Arsenal nicht nur diktatorischer Gesellschaften. Auch in dem angeblich freiesten Staat, der je auf deutschem Boden existiert hat, der Bundesrepublik, ist die Denunziation, zumal die politische, mittlerweile gang und gäbe. Diese Erfahrung mußte jetzt der Schriftsteller Ulrich Schacht machen - und das nur, weil Vertreter der SPD-Fraktion im Dresdner Stadtrat angesichts der Berufung Schachts zum Stadtschreiber von Dresden ein "mulmiges Gefühl" überkam. Konkrete Vorwürfe kann man dem 55jährigen preisgekrönten Autor, der seit 1998 in Schweden lebt, zwar nicht machen, aber irgendwie sei er "rechts" und "auch durch radikale politische Positionen aufgefallen" (JF 9/07).

Die Berliner taz sekundierte unter der Überschrift "Dresdner Stadtschreiber schreibt rechts", aus Schachts Artikeln für diverse Zeitungen und Zeitschriften, darunter auch die JUNGE FREIHEIT und das Ostpreußenblatt, spreche "ein fanatischer Haß auf die DDR und ihr Erbe wie auf die 68er". Merkwürdig nur: Für die JF hat Schacht in den letzten fünf Jahren lediglich einen einzigen redaktionellen Beitrag verfaßt - die Interpretation eines Gedichts von Gottfried Benn (JF 28/06).

Und daß Schacht nicht gut auf einen Staat zu sprechen ist, in dem er im berüchtigten Frauengefängnis Hoheneck geboren wurde, weil seine Mutter dort aus politischen Gründen inhaftiert war; einen Staat zudem, der ihn selbst als jungen Theologiestudenten wegen "staatsfeindlicher Hetze" zu sieben Jahren Freiheitsentzug und der Aberkennung staatsbürgerlicher Rechte verurteilte - wer wollte ihm das verdenken? Daß der 1976 aus DDR-Haft freigekaufte und in den Westen entlassene Schacht sich darüber hinaus stets für einen antitotalitären Gesellschaftskonsens sowie für Meinungs- und Pressefreiheit einsetzt, auch für diese Zeitung, wo immer er diese für ein demokratisches Gemeinwesen konstitutiven Grundrechte bedroht sieht - wer wollte ihm daraus ernsthaft einen Strick drehen?

Solidarität unter Schriftstellerkollegen

Immerhin mußte auch die taz anerkennen, daß Schacht ein "wortmächtiger" Erzähler und Lyriker ist. Dessen literarische Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit in seinem jüngsten Erzählband "Verrat. Die Welt hat sich gedreht" stehe an Sensibilität einem Film wie "Das Leben der Anderen" in nichts nach. In einer JF-Besprechung des 2002 erschienenen Buches erinnerte der Rezensent Günter Zehm an ein Wort des Dramatikers Heiner Müller, der den Texten des jungen Schacht eine "kristalline Melancholie" bescheinigt habe. Genau diesen Eindruck vermittelten auch Schachts Erzählungen.

Den Anwürfen gegen Schacht widersprachen denn auch eine Reihe von dessen Schriftstellerkollegen, darunter Sarah Kirsch, Joachim Schädlich und Richard Wagner. Und der Lyriker Rainer Kunze (73) erklärte: "Mit Schacht kann man streiten, ihm aber eine antidemokratische Grundhaltung zu unterstellen, ist ein denunziatorischer Exzeß."

Foto: Ulrich Schacht: Denunziert


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