© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/07 09. März 2007

Herrschaft nur am Katzentisch
Manins Demokratiekritik
Peter Lebitsch

Cave canem", sagte Theodor Heuss, als deutsche Honoratioren das Grundgesetz ausarbeiteten. Allerdings warnte er nicht vor Hunden, sondern meinte Deutsche, denen Heuss nur wenig Selbstbestimmung zubilligte. Der Begriff "politische Klasse" artikuliert oft das Unbehagen jener, die glauben, daß Bürger und Staat einander entfremdet seien. Nun analysiert der Soziologe Bernard Manin von der Pariser Ecole des Hautes Etudes zahlreiche Tücken der "repräsentativen Demokratie".

Deren angelsächsische "Väter" erstrebten keine Volksherrschaft, wie sie einst Athen realisiert hatte: "Bürger in ihrer Eigenschaft als Kollektiv sind von jedem Anteil an der Regierung ausgeschlossen." Rousseau hielt das englische Parlament für eine "Form der Sklaverei". Eine "repräsentative" Obrigkeit, meinte Abbé Sieyès, entspreche der Arbeitsteilung, weil den Untertanen Muße fehle, ohne die öffentliche Angelegenheiten nicht zu regeln seien. Nur wenige hinterfragen unsere politischen Strukturen, die, ergänzt durch das gleiche Wahlrecht, seit 200 Jahren bestünden. Allerdings irrt Manin, wenn er glaubt, Locke, Montesquieu und andere Theoretiker hätten die westliche "Demokratie" quasi erfunden. Bekanntlich wurzeln heutige Volksvertretungen in der mittelalterlichen Ständezeit. Jene aristokratische Epoche schuf auch die Gewaltenteilung. Letztlich brachte das 18. Jahrhundert alte Realitäten auf moderne Begriffe. Nur wer historisch denkt, kann westliche Systeme kritisch analysieren.

Manin vergleicht die attische Demokratie mit heutigen Verfassungen. Bloße Wahlen gewährleisten keine Volksherrschaft. Das passive Wahlrecht erfordere Geld und Einfluß. Solche Kriterien erfüllen meist nur privilegierte Minderheiten. Öffentliche Funktionen wie in Athen zu verlosen, ist angesichts großer Flächenstaaten schwer zu praktizieren. Auch Volksversammlungen agierten nur in kleinen Stadtrepubliken.

Worin besteht das Kernproblem? Der Bürger kann politische Inhalte nicht bestimmen, solange Oligarchien die Willensbildung dominieren. Ob imperatives Mandat und Volksabstimmungen zu empfehlen seien, bleibt ungeklärt. Kritische Medien, vermutet der Autor, kompensieren die lückenhafte Demokratie.

Bernard Manin: Kritik der repräsentativen Demokratie. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2007, gebunden, 349 Seiten, 28,90 Euro


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