© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/07 16. März 2007

Naturblonde Haare werden immer seltener: Zum Haareraufen! - Deshalb:
Gebt acht!
(JF)

Bald wird das helle Haar, ob aschenfarbig, licht- oder flachsblond, mit rotem oder derbem Weizenstich nur noch in der Dichtung als schön und schaurig anzutreffen sein. Der Anteil an Blonden sinkt.

Dabei weiß das jahrhundertealte Nibelungenlied noch von der züchtigen Kriemhild zu erzählen: "Ez wuohs in Búrgónden ein vil édel magedîn, daz in allen landen niht schoeners mohte sîn, Kriemhilt geheizen: si wart ein scoene wîp." - Obgleich die Farbe von Kriemhilds Haar nirgends darin besungen wird, bedichten sie doch die meisten Rezipienten mit blondem Haar (Beispiel Agnes Miegel: "Die blonde Kriemhild blickte auf und sprach mit Tränen leise ..."). Unschuldig wird die blasse Blonde von blauem Blute geschildert, und als von kühnen Recken umworben.

Doch vor blonden Frauen sollte man(n) sich in acht nehmen, zwitscherte lasziv und aufmüpfig der blonde Engel selber: Marlene Dietrich. Sie hätten so etwas Gewisses! "Ist ihnen nicht gleich anzuschauen, aber irgend etwas ist es! Ein kleines Blickgeplänkel sei erlaubt dir! Doch denke immer: Achtung vor dem Raubtier."

Und so auch die einstig reine Kriemhild von Burgund: Beim Königinnenstreit wird sie Brunhild entgegenschleudern, daß nicht Gunther, sondern ihr Mann Siegfried sie in der Brautnacht bezwungen habe. Nachdem Hagen dieses an Siegfried mit dem Tode vergolten hat, schlägt Kriemhild in der Hunnenburg ihres neuen Gatten Etzel Gunther und Hagen die Köpfe ab.

Die Schlagkraft blonder Schöpfe schwindet jedoch stetig. Kriemhild und Marlene scheinen noch mehr Mythos zu werden, als sie es ohnehin schon sind. 2002 klang es sinnbildlich zum Haare­raufen: Eine Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) habe ergeben, daß das letzte blonde Licht in etwa 290 Jahren in Finnland erlöschen werde. Die Meldung war eine Zeitungsente, die Studie hatte es nie gegeben.

Trotzdem behauptet der Kieler Anthropologieprofessor Hans W. Jürgens, die Zahl blonder Menschen sinke stetig. Gründe für diesen Verlustbefund sieht er in der Vererbungslehre und in den Folgen von Zuwanderung und Migration: Die Haarfarbe entsteht durch die Einlagerung der Farbpigmente Eumelanin und Phäomelanin. Wenn der Phäomelanin-Anteil größer ist als der des Eumelanin, dann führt das zu einer blonden oder rötlichen Färbung. Das Mischungsverhältnis beider ist genetisch bedingt. Allerdings ist die Ausprägung des Gens - das Allel -, das für die Bildung von Phäomelanin im Rahmen der Vererbungslehre verantwortlich ist, rezessiv gegenüber dem Allel zur Eumelanin-Produktion. Deswegen setzt sich bei einem blonden und einem dunkelhaarigen Elternteil auch meistens die dunkle Haarfarbe durch. Das Phäomelanin-Allel für die blonden Haare bleibt allerdings vorhanden, so daß auch zwei Dunkelhaarigen ein blondes Kind beschert sein mag.

Auch Sophie aus Paris (31, Model), die so gerne lange, blonde Haare hätte, muß sich nicht schwarz ärgern - obgleich die Geschichte rabenschwarz ist: Eine Haarverlängerung mit Haar aus Indien gibt ihr Hoffnung. Es stammt von der Kaste der Aussätzigen, die es dem Tempel opfern. Es wird nach Paris verschifft und für die Kundschaft auf die gewünschte Farbe getrimmt.

Schlagkraft blonder Schöpfe schwindet stetig

Fest steht: Der Anteil naturblonder Haare an der Weltbevölkerung geht in Zeiten fortschreitender Globalisierung zurück. Geburtsblonde Menschen gibt es heute vor allem in Nord-, West-, Mittel- und Osteuropa und bei den Nachfahren europäischer Einwanderer in Amerika, Ozeanien und Südafrika, vielleicht gar einige in den Bergregionen des Libanons als Erbe der Kreuzfahrer.

Insgesamt leben aber natürlich in Europa mehr blonde Menschen als in Asien oder Afrika. Die Europäer bekommen immer weniger Nachwuchs, die Asiaten und Afrikaner immer mehr: es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer aktuell. Genaue Untersuchungen gibt es laut Friedrich Rösing, dem Leiter der erbbiologischen Untersuchungsstelle der Uni Ulm, nicht. Die in den Medien herumgeisternden Zahlen bezeichnet er als persönliche Duftnoten irgendwelcher Apotheker. "Aber daß blonde Menschen weniger werden, ist eine einfache mathematische Rechnung, die man anhand von zwei Fragen durchkalkulieren kann. Erstens: Wo wächst die Weltbevölkerung am schnellsten? Und zweitens: Welche Haarfarbe ist dort dominant?" Jedenfalls nicht die blonde.

Tiefsinnig und hellsichtig ist in diesem Zusammenhang der Titel einer Ballade von Annette von Droste-Hülshoff ("Vorgeschichte"). Gleich der Dichterin in ihren Versen werden in ein paar hundert Jahren die Nachgeborenen dämmernd Rückschau halten und flüsternd fragen: "Kennst du die Blassen im Heideland / mit blonden flächsernen Haaren mit Augen so klar, wie an Weihersrand / Die Blicke der Welle fahren?" - Oder aber die Blonden sind um ein Haar davongekommen. 

Foto: Kriemhild alias Schauspielerin Dorkas Kiefer: Der blonde Racheengel richtet die Rotte


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