© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/07 23. März 2007

Den Skalpjägern preisgegeben
Der Nahost-Besuch der deutschen Bischöfe erinnert an die USA-Reise des Münchner Kardinals Michael von Faulhaber von 1926 und dessen Klage darüber
Alfred Schickel

Zwischen Juni 1926 und März 2007 liegen über achtzig Jahre - und doch machten deutsche Bischöfe heute wie damals Erfahrungen, die sich frappierend ähneln.

Das erste Datum markiert die Reise Kardinal Michael von Faulhabers zum Internationalen Eucharistischen Kongreß in Chicago, wohin ihn sein Kardinalskollege George Mundelein als Gastgeber eingeladen hatte. Und im März 2007 suchten bekanntlich die 27 deutschen Diözesanbischöfe im Rahmen einer Reise ins Heilige Land auch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem auf, um für die zwischen 1933 und 1945 ermordeten Juden zu beten. Beide Reisen bereicherten auf unterschiedliche Weise den Erfahrungsschatz der hochwürdigen Pilger aus Deutschland.

Kardinal Faulhaber schilderte kurz nach seiner Rückkehr in einem Vortrag die Eindrücke von seiner USA- Reise. Er nannte den Kongreß "eine religiöse Kundgebung von nie dagewesenem Ausmaß" und "einen Höhepunkt unter den 29 bisherigen Veranstaltungen dieser Art". Da imponierte "ein Massenchor von 62.000 Kindern, der die Engelmesse sang" dem Münchener Oberhirten ebenso wie der "vierzig Meter hohe Säulenaltar, der mit etwa dreißig Stufen von der Ebene abgehoben wie ein Kapitol den weiten Raum beherrschte". Er staunte über die in die Millionen gehenden Hostien und Kommunikanten und bewunderte die Inszenierung einer "viele Meilen langen Prozession".

Solchen Gigantismus trafen die vier deutschen Kardinäle (Lehmann, Meisner, Sterzinsky und Wetter) und ihre bischöflichen Mitbrüder in Israel und Palästina natürlich nicht an, waren aber gleichwohl von den Lebensverhältnissen der Palästinenser sichtlich erschüttert.

Als einigen von ihnen dabei das Mitgefühl über die Vorsicht ging und sich in spontanen Bemerkungen Luft machte, bekamen sie es mit Zeitgenossen zu tun, über deren professionelle Vorläufer Kardinal von Faulhaber vor über achtzig Jahren seinen Münchnern erzählte: "Wo viel Licht ist, sind auch viele Schatten. Der traurigste Schatten auf dem Kongreß in Chicago war die Haltung der Zeitungsvertreter und Lichtbildermenschen. Zwischen dem Altar und den Kardinälen krochen 12, 15, 20 Lichtbildmenschen mit Bilderkästen herum, manche von ihnen in sehr werktägigem Aufzug, mehr oder minder geduckt wie Indianer auf dem Kriegspfad. Als der Segen mit dem Allerheiligsten gegeben wurde, blitzten etwa zwanzig Lichtbomben der Zeitungsphotographen mit großem Knall auf und störten die Stille der Andacht."

Kardinal Faulhabers mißbilligender Kommentar: "Mögen einzelne dieser Diktatur der Presse sich beugen und sogar ein Behagen darin finden, ihre Totenmaske möglichst oft in der Zeitung zur Schau zu stellen, die geistig und sittlich mündigen Persönlichkeiten müßten dieses Sklavenjoch der Großmacht Presse abwerfen."

Faulhaber beklagte die "modernen Wegelagerer"

Zugleich aber auch seine resignierende Feststellung: "Schon bei meinem früheren Aufenthalt in Amerika (von April bis Juni 1923) habe ich diese Schatten amerikanischer Zivilisation zu Genüge keimen gelernt. Mehr als einmal trat ein solcher Lichtbildmann in mein Zimmer, ohne das 'Come in' abzuwarten, und sagte mir im Tone eines Sklavenjägers: 'Kommen Sie heraus, ich wünsche ein Bild von Ihnen zu nehmen'."

Um mit Blick auf seine Erfahrungen im zeitgenössischen Deutschland schließlich zu konstatieren: "Leider erleben auch wir es bereits, daß bei Prozessionen oder öffentlichen religiösen Festen die Lichtbildermenschen den Gottesdienst mit einer amerikanischen Zudringlichkeit stören und, ohne zu fragen, das Recht beanspruchen, vom Bischof ein Bild zu nehmen und in irgendeiner Zeitung oder einem Schaufenster auszustellen", und die Frage zu stellen: "Werden wir einen Rechtsschutz finden gegen diese modernen Wegelagerer, oder sind wir schutzlos ihnen preisgegeben, wie der ruhige Wanderer in der Zeit der alten Indianer den Skalpjägern preisgegeben war?"

Wie die Anfang März 2007 im Reisebus und im vertrauten Kreis aufgeschnappten und eiligst um die Welt gefunkten Gesprächsfetzen deutscher Bischöfe beweisen, scheint die von Kardinal Faulhaber 1926 beklagte indiskrete Aufdringlichkeit sich weiter ausgebreitet und noch gesteigert zu haben. Der Respekt vor der persönlichen Betroffenheit ging ebenso weitgehend verloren wie die gebotene Rücksicht auf den Hintergrund, vor dem ein Eindruck wiedergegeben oder ein Vergleich gezogen wird. Ganz zu schweigen von den flink angehängten Kritiken und Kommentaren oft derselben Medienvertreter ("Keine guten Hirten" oder "inakzeptable Äußerungen"). Man beläßt es also nicht bei der begangenen Indiskretion und fragmentarischen Darstellung, sondern nimmt sie anschließend auch noch als Vorlage für lautstarke Empörung und schulmeisterliche Belehrungen.

Einen solchen Umgang mit Menschen und Nachrichten versuchte sich Kardinal Faulhaber in seinem Bericht vom Sommer 1926 mit "schuldbarem Mangel an Gewissen gegenüber dem 8. Gebot" zu erklären. Nach über achtzig Jahren scheint diese Erklärung nichts von ihrer Gültigkeit verloren zu haben, zumindest was die "schwarzen Schafe" innerhalb der sogenannten "vierten Gewalt" im Staat angeht.

Foto: Lichtbildmensch in der Kirche: Wie Indianer auf dem Kriegspfad


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