© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/07 23. März 2007

"Schädliche Ideologien"
Die Opposition an der Uni Jena ab Mitte der 1950er Jahre
Detlef Kühn

Thüringen, insbesondere Jena, war eine Landschaft, in der dem SED-Regime immer erheblicher Widerstand geleistet wurde. Es fehlt nicht an Veröffentlichungen zu dieser Thematik (JF 31-32/05). Nun konzentriert sich eine weitere Dokumentation auf die zweite Hälfte der 1950er Jahre, als durch Chru­schtschows Rede auf dem XX. Parteitag der KPdSU Kritik am Stalinismus möglich wurde und der Aufstand in Ungarn einmal mehr Hoffnungen auf einen "menschlichen" Sozialismus weckte, die dann brutal enttäuscht wurden.

Das Besondere auch an der jetzt vorliegenden Veröffentlichung ist, daß die Autoren selbst Betroffene der SED-Repression waren. Werner Fritsch und Werner Nöckel waren jedoch keine prinzipiellen Gegner des Sozialismus. Fritsch hatte es zum FDJ-Sekretär der Historiker an der Universität gebracht. Nöckel als ausgebildeter Eisenbahner wies eine einwandfreie proletarische Herkunft auf, die ihn ebenfalls zu einer Karriere als Historiker berechtigte. Beide waren Mitglied der SED. Aus der Sicht der Partei hatten sie nur einen Fehler: Sie wollten sich das selbständige Denken nicht verbieten lassen. Nöckel wurde deshalb zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus wegen "schwerer staatsgefährdender Hetze und Propaganda" verurteilt, während Fritsch mit einem blauen Auge davonkam und als Historiker weiter an der Universität arbeiten durfte.

Schwerpunkte ihrer materialreichen Dokumentation sind die Akten des Ministeriums für Staatssicherheit und der SED-Parteileitung der Universität. Sie schildern die Entwicklung der politischen Diskussionen nicht nur bei den Historikern, sondern auch bei den Chemikern, den Medizinern und nicht zuletzt den Philosophen. Die beginnende Entstalinisierung in der Sowjetunion und die ignorante Reaktion der SED-Führung beschäftigte alle.

So bietet das Buch neues interessantes Material, Charakterisierungen von Betroffenen und Mitschriften von Parteiversammlungen, zu den Themen "Eisenberger Kreis", Ernst Bloch und seine Schüler sowie den Bällen der Physiker und Chemiker, bei denen sich die Studenten erlaubten, ein systemkritisches Programm aufzuführen, was die völlig humorlose SED nicht dulden konnte.

Ein Beispiel mag die Leser dieser Zeitung besonders interessieren. Im Herbst 1956 hatten einige Studenten eine "Jenaer Philosophische Studentengesellschaft" gegründet, um einschlägige Themen zu diskutieren. In ihr engagierten sich die später bekannt gewordenen Publizisten Rainer Kirsch und Günter Zehm, die nach den Ermittlungen des MfS auch Verbindung zu dem Lyriker Gerhard Zwerenz unterhielten. Alle drei waren in der SED, galten aber dem MfS wohl gerade deshalb als gefährlich. Es urteilte über Zehm: "Zu den ... internationalen Problemen nimmt Zehm eine Stellung ein, die niemals unserem Klassenstandpunkt entspricht, sondern durchaus schädliche Ideologien sind. Er begrüßt zum Beispiel den Austritt Sartres aus der Kommunistischen Partei Frankreichs mit der Begründung, daß er mit seiner 'Kritik' an den Verhältnissen in der Sowjetunion recht hat. Bei Bekanntwerden der Vorkommnisse in Ungarn reagierte er mit Freude darauf. ... Ein Spezial-Ausdruck von ihm ist 'Stalinismus'. Trotzdem er in einer Parteiversammlung auf die Verwerflichkeit dieses Wortes hingewiesen wurde, änderte er seine Ansichten nicht. Zehm begrüßte lebhaft die Rede Titos in Pula und verschmähte auf der anderen Seite den Artikel der Prawda und des Neuen Deutschland in dieser Beziehung. Es ist weiterhin bekannt geworden, daß, wenn negative Diskussionen unter den Philosophie-Studenten eintreten, sie durch negative Einwürfe Zehms geschürt werden. ... Zehm hat bei den Studenten Autorität aufgrund seines fachlichen Wissens, besonders in der Frage der klassischen deutschen Philosophie."

Zwerenz verließ bald darauf die DDR. Kirsch wurde mehrmals aus der SED ausgeschlossen, durfte aber mit Schwierigkeiten weiter in der DDR publizieren. Zehm ("Pankraz") büßte seine eigene Meinung über drei Jahre im Zuchthaus.

Werner Fritsch/Werner Nöckel: Vergebliche Hoffnung auf einen politischen Frühling. Opposition und Repression an der Universität Jena 1956-1968, Verlag Jena 1800, Berlin 2006, broschiert, 431 Seiten, Abbildungen, 22,90 Euro

Foto: Günter Zehm (Bildmitte) 1955 mit Kommilitonen eines Ernst-Bloch-Seminars der Universität Leipzig


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen