© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/07 30. März 2007

Frau Jelpke fragt, die Regierung antwortet
"Kampf gegen Rechts" I: Bundesregierung legt die Antworten zur Großen Anfrage der Linksfraktion vor / 286 Fragen
Peter Freitag

Ulla Jelpke, Abgeordnete der Linksfraktion im Bundestag, hat an die Bundesregierung eine Große Anfrage zum Rechtsextremismus gestellt. Groß ist die Anfrage tatsächlich, denn sie umfaßt immerhin 286 Einzelpunkte; und es brauchte ein Jahr, bis die Regierung der Abgeordneten ihre 100 Seiten umfassende Antwort überreichen konnte. Darüber ist Jelpke, die einst als Angehörige der streng konspirativen Politsekte Kommunistischer Bund (KB) kräftig an der Abwicklung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung mitwerkelte, ziemlich erbost.

Neben dem langen Bearbeitungszeitraum zeigten vor allem die Antworten, daß sich die Bundesregierung "nicht wirklich und umfassend dem Problem Rechtsextremismus stellen" wolle, schreibt Jelpke in ihrer Stellungnahme. Dabei hatte sie in den Vorbemerkungen zu ihren Fragen schon die "wesentlichen Gefahren" aufgezeigt: daß nämlich Öffentlichkeit und Politik die "langfristige Entwicklung der extremen Rechten" aus dem Blick verloren hätten und daß sich bei Themen wie "Zuwanderung, Asyl, Nation oder NS-Vergangenheit" der Diskurs nach rechts verschoben habe, was auch an der "Ethnisierung der sozialen Frage" erkennbar sei. Ganz schlimm sehe es in punkto Geschichtsbild aus. Da würden, "ohne Vorgeschichte und historische Gründe der Umsiedlung der Deutschen aus Osteuropa zu reflektieren, die Deutschen als Opfer dargestellt".

Zudem müsse nach dem gescheiterten Verbotsverfahren gegen die NPD konstatiert werden, daß die Partei gestärkt aus diesem Verfahren herausgekommen sei: "Die scheinbare Legitimierung der NPD durch das gescheiterte Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht hat auch die Distanz bürgerlicher Kreise zur NPD schwinden lassen, wie sich vor allem am Beispiel Sachsen ablesen läßt." Woher sich diese Feststellung ableiten läßt, verschweigt die engagierte Antifaschistin. Denn Fachleute wie der Extremismusforscher Eckhard Jesse kommen zu ganz anderen Ergebnissen: "Der sächsische Wahltriumph der Partei erklärt sich nicht mit dem gescheiterten Verbotsantrag." Daran schließt sich auch die Bundesregierung an: "Wenngleich die Einstellung des Parteiverbotsverfahrens im Ergebnis weder zu der von der NPD erhofften Aufbruchstimmung noch einem darauf zurückzuführendem Mitgliederaufschwung geführt hat, sieht die NPD diese gleichwohl als Erfolg für die Partei an."

Daß Jelpke mit solchen Antworten nicht zufrieden sein kann, leuchtet ein. Als "verharmlosend" wertet sie die offiziellen Einschätzungen. Außerdem lasse die Art der Beantwortung den Schluß zu, die Regierung fühle sich eher von dieser Anfrage als vom Rechtsextremismus "genervt". Angesichts der Tatsache, daß ein Großteil der Auskünfte ohnehin in den alljährlich gedruckten Verfassungsschutzberichten steht oder aber aufgrund der Länderbefugnisse nicht in die Zuständigkeit der Bundesregierung fällt, wäre dies durchaus nachvollziehbar.

Belehrung der Fragestellerin

Die Gefahr rechtsextremer Unterwanderung umfaßt nach Jelpkes Ansicht jedoch alle Lebensbereiche der Deutschen, und zwar (fast) buchstäblich von der Wiege bis zur Bahre. Es fängt bei Kindesbeinen an ("Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, ob und in welchem Ausmaß antisemitische und rassistische Einstellungen in den Unterricht an Waldorfschulen und -kindergärten einfließen?" - "Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor") bis schließlich zur Frage, ob und wenn ja, wie oft die Bundeswehr mit offiziellen Abordnungen bei früheren Wehrmachtsangehörigen am Grabe steht. Daneben interessiert die Linkspartei-Politikerin, welche Musikrichtungen die extreme Rechte bevorzuge (hauptsächlich Rock und Balladen) und wie die Bundesregierung "die Verwendung vormals 'linker' Codes durch Rechtsextremisten wie beispielsweise des sogenannten Palästinensertuchs oder schwarzer Fahnen" bewerte.

Während die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme einerseits auf ihr - finanziell ohnehin nicht gerade unerhebliches - Engagement "gegen Rechts" mit all seinen Programmen oder etwa hinsichtlich der Bundeswehr auf die fortgeschrittene Befolgung politisch korrekter Anforderungen hinweist, vermeidet sie andererseits jegliche Dramatisierungen angesichts der von Jelpke unterstellten Bedrohungslage. So ist nach offizieller Lesart die "Volksfront von rechts" ein "stark erfolgsabhängiges Zweckbündnis, dessen Fortbestand in erster Linie von künftigen Wahlerfolgen abhängt"; allen Behauptungen Jelpkes vom vermeintlichen "Extremismus der Mitte" zum Trotz stellen die Behörden fest, daß es Rechtsextremisten wie etwa den sogenannten "Kameradschaften" nur in geringem Umfang gelinge, "Außenstehende dauerhaft von der Richtigkeit ihrer Thesen zu überzeugen".

Die Bundesregierung betont außerdem, daß keine "Anhaltspunkte für eine Zunahme von Verstößen gegen Strafrecht und Presserecht seit dem Ende des NPD-Verbotsverfahrens" vorlägen und auch weder von einer "nationalen noch von einer internationalen strukturell-organisatorischen Vernetzung der rechtsextremistischen Szene ausgegangen werden" könne. Außerdem weist die Bundesregierung Behauptungen, es gebe in Deutschland von Rechtsextremisten beherrschte "national befreite Zonen", "mit Entschiedenheit zurück". Im Gegensatz zu Jelpke bewahrt sich die antwortende Regierung auch die politische Trennschärfe zwischen extremer und demokratischer Rechten: Die konservative Rechte sei "Teil des demokratischen Spektrums und unterliegt somit nicht dem gesetzlichen Beobachtungsauftrag des Bundesamtes für Verfassungsschutz", heißt es in der Antwort.

Manchmal scheinen sich die Autoren des Antwortschreibens auch Belehrungen der Fragestellerin nicht verkneifen zu können, etwa wenn festgestellt wird, "Revanchismus" sei "ein Kampfbegriff nicht zuletzt von Linksextremisten und kein Kriterium im Sinne des Bundesverfassungsschutzgesetz". Oder bei Beantwortung der Frage, inwiefern Rechtsextremisten "an antisemitische Äußerungen etablierter Politikerinnen und Politiker oder etablierter Zeitungen" anknüpften: "Anknüpfungspunkte für Äußerungen von Rechtsextremisten können öffentliche Verlautbarungen jeden Inhalts und jeder Herkunft sein."


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