© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/07 30. März 2007

Der Alten Welt verfallen
Das Bild, das Rilke bis in die Träume verfolgte: Meisterwerke von Cézanne in Florenz
Paola Bernardi

Wenn man in diesen Frühlingstagen vom Bahnhof Santa Maria Novella zum Palazzo Strozzi geht, versteht man, warum einst zwei junge Amerikaner aus italienischen Emigranten-Familien sich in diese Stadt verliebten und Florenz bis zu ihrem Tode verfallen blieben.

Noch ist die Mehrzahl der Touristen fern, noch spricht die Stadt mit sich selber, und noch sind die Florentiner in der Überzahl. Auf dem nahen Blumenmarkt leuchten die Farben der frisch sprießenden Pflanzen und Blumen, über die Stadt spannt sich ein blaßblauer dunstiger Himmel, und der Arno fließt träge in seinem Flußbett. Nie betört Florenz stärker als in dieser Jahreszeit.

Die Honoratioren der Stadt - Bürgermeister, Superintendant, Bankdirektoren - waren im Palazzo Strozzi, diesem schönen Renaissance-Palast, angetreten, um sich und ihre Stadt mit dieser Ausstellung zu feiern und gleichzeitig zwei Mäzene zu ehren: Egisto Fabbri (1866-1933) und Charles Loeser (1864-1928), beide in New York geboren und in Florenz gestorben. Diese beiden romantischen Lebemänner ermöglichten es postum dank ihrer Kunstsinnigkeit und ihres Reichtums, daß diese Cézanne-Ausstellung überhaupt in Italien eröffnet werden konnte. Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft des Staatspräsidenten Giorgio Napoletano.

Die großartige Ausstellung mit über zwanzig Meisterwerken von Cézanne ist somit zugleich eine Hommage an die privaten Sammler Fabbri und Loeser. Beide fühlten sich mit Körper und Seele der Heimat ihrer Väter verbunden. Sie, deren Vorfahren in der neuen Welt reich geworden waren, trieb die Sehnsucht nach Florenz. Sie brauchten diese überschaubare italienische Stadt als Resonanzboden. Die Liebe zu ihr wurde zur Besessenheit.

Fabbri und Loeser waren Anfang des 20. Jahrhunderts keineswegs die einzigen, zog doch Florenz in jenen Jahren vor allem Künstler des deutschen und englischen Sprachraums an: Arnold Böcklin, Max Klinger, Gertrude Stein, Edith Wharton, Florence Blood, lange vor ihnen John Keats und Percy Bysshe Shelley. Die Stadt war geradezu ein Magnet für gebildete Reisende aus aller Welt, die sich vom Licht der Toskana betäuben ließen.

Von Florenz aus starteten die beiden Italo-Amerikaner ihre Entdeckungsreisen nach Frankreich. Immerhin galt Paris damals als Mekka der europäischen Malerei. Und hier entdeckten sie die explodierende Farbenwelt des Malers Paul Cézanne (1839-1906) aus Aix-en-Provence. Beide Amerikaner verfielen spontan diesem großen französischen Impressionisten, der damals noch relativ unbekannt war. Die "golden boys" waren regelrecht vernarrt in seine Kunst. Und wohlhabend wie sie waren, kauften sie sich nach Herzenslust die Werke dieses Künstlers. Fabri schaffte es, 32 Werke von Cézanne zu erwerben; Loeser brachte es immerhin auf fünfzehn.

In ihren großzügigen Florentiner Wohnungen bewahrten beide Sammler ihre Kollektion auf, zeigten sie nur auserwählten Freunden. Im Palazzo Strozzi hat man die Räumlichkeiten sowie die Atmosphäre jener untergegangenen Zeit durch Fotos und Möbelstücke nachempfunden. Der staunende Besucher möchte in die Vergangenheit zurücktreiben.

Rot, grün, blau und gelb leuchten die Meisterwerke von Cézanne in dieser Ausstellung, die immer seinen speziellen Umgang mit der Natur aufzeigen. Dieser Künstler brach mit den Konventionen. Seine Seh- und Malweise demonstriert sich in der Ekstase seiner Farben und in seinen kurvig schwungvollen Pinselstrichen. Keine expressive Deformation findet man in seinen Meisterwerken. Linie, Ton und Farbe verband der Künstler so eng miteinander, daß sie ineinander verwuchsen.

Vielen Werken, die man von Postkarten kennt, steht der Ausstellungsbesucher nun in Florenz unmittelbar gegenüber. So zum Beispiel der "Frau im roten Sessel", entstanden 1877. Mit verschränkten Händen, im grünfarbigen Rock und der blauen Jacke sitzt die nachdenkliche Frau des Künstlers gleich einer Statuette vor dem grün-blauen Hintergrund im roten Polstersessel mit roten Troddeln.

Kaum ein Kunstliebhaber kann sich der Suggestivkraft dieses Werkes entziehen. Wie gebannt schaut man auf die Leinwand, der Blick der Frau scheint auf dem Betrachter zu ruhen. Rainer Maria Rilke war von diesem Bild so betroffen und angerührt, als er es sah, daß es ihn sogar "bis in die Träume verfolgte", wie er bekannte. Der Dichter war vor allem von der Vielzahl der verwendeten Farben und Farbnuancen so beeindruckt, daß er versucht hat, "sie zu zählen".

Zwei Bilder aus der berühmten Serie der "Badenden" von Cézanne sind ebenfalls in dieser Ausstellung zu sehen. Einmal die sechs badenden Frauen am Fluß (1875/76). Ein wahrer Reigen von Frauenkörpern, die sich recken und strecken auf der grünen Wiese unter den Bäumen und unter blau-weißen Sommerhimmel. Das andere ausgestellte Werk zeigt fünf nackte Menschen in verschiedenen Positionen. Es entstand 1890 und wirkt im Vergleich zum anderen wie eine Großaufnahme.

Ein paar Schritte weiter steht man vor dem bezaubernden Landschaftsbild "Die ansteigende Straße" (1879-1892). Wiederum gleichsam betäubend und mitreißend sind die Farben, die hier der Künstler verwendete: Vom lichten Maigrün bis Dunkelgrün, die gelbroten Häuser unter blauem Himmel, Farben, die den Betrachter magisch in Bann ziehen. Landschaften wechseln sich ab mit Porträts und Stilleben, Werke von unglaublicher Intensität. Die Schaffenskraft des Künstlers schien ungebrochen.

Daneben werden in der Florentiner Schau auch große einzelne Werke von Vincent van Gogh, Henri Matisse und Camille Pissarro und Edgar Degas ausgestellt; nicht zu vergessen ein ganzer Reigen von nicht ganz so bekannten Künstlern wie Primo Conti, Raffaele De Grada, Amedeo Modigliani und Alfredo Muller. Sie alle waren beseelt, zu neuen künstlerischen Ufern aufzubrechen, wollten dem französischen Beispiel folgen. Die Welt schien reif für Veränderungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

Erst im Jahre 1910 fand in Italien die erste große Impressionismus-Ausstellung statt. Auch in Frankreich gelangte Cézanne erst postum zu Ruhm. Doch Egisto Fabbri und Charles Loeser hatten die Genialität dieses Künstlers schon sehr viel früher erkannt und erfahren nun eine späte - verdiente - Würdigung. 

Die Ausstellung ist bis zum 29. Juli im Palazzo Strozzi in Florenz zu sehen. Weitere Infos im Internet: www.cezannefirenze.it 

Foto: Paul Cézanne, Frau im roten Sessel (1877): Kaum ein Besucher kann sich ihrem Bann entziehen


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