© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/07 13. April 2007

Europa im Umbruch
von Doris Neujahr

Britische Geschichtslehrer zögern, den Holocaust zu behandeln, um muslimische Schüler nicht zu provozieren. Auch in Deutschland stellt die veränderte Bevölkerungsstruktur ein Problem für die Holocaust-Erziehung dar. Das Europa, das "die Lehren aus dem Holocaust" als Quelle eines weltweiten Humanitarismus etabliert hat, gegen dessen Imperative sich kein Staat abschotten darf, das seine Schwäche an den Außengrenzen durch Aggressivität gegen angebliche Ausländerfeinde im Innern kompensiert, erfährt die List der Geschichte: Ein von politischen Interessengruppen angestoßener Prozeß ist zum Stimulus einer unumkehrbaren historischen Entwicklung geworden, die sich gegen die Absichten ihrer Urheber richtet.

Die britische Zurückhaltung in Sachen Holocaust wird als neue Form politischer Korrektheit eingeführt, was kaum überrascht. Die "PC" ist kein ethisches Wertefundament, sondern primär ein psychosoziales Gerüst, an dem sich Opportunisten emporranken. Diese Anständigen definieren ihre Anständigkeit nun um. Wenn Kräfteverhältnisse sich verschieben, wechseln auch die Gesinnungen.

Die meisten innen- und außenpolitischen Debatten in den europäischen Ländern wären dann nur noch Gekräusel auf dem Fluß der Geschichte. Über die kulturell-religiöse Hegemonie der Zukunft wird anderswo, in Kreißsälen und durch den Familiennachzug, langfristig entschieden. Diese künftigen Grundtatsachen rufen schon heute nach einer neuen politischen Begrifflichkeit.


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