© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/07 13. April 2007

Nur eine weitere Runde in einem riskanten Spiel
Iran: Die schnelle Lösung im Gefangenenstreit mit London zeigt, daß es in Teheran auch nüchtern kalkulierende Strategen gibt
Günther Deschner

Vor fast drei Wochen brachte eine Küstenpatrouille der iranischen Revolutionsgarden zwei Schlauchboote der britischen Marine auf. Deren 15köpfige Besatzung wurde unter der Beschuldigung, sie seien in iranische Hoheitsgewässer eingedrungen, gefangengenommen. Und sofort herrschte weltweit der Eindruck vor, der iranische Präsident habe es mal wieder nicht lassen können, "die Weltgemeinschaft" zu provozieren. Mahmud Ahmadi-Nedschad habe seinem Katalog politischer "Sünden" und "Dummheiten" nun eine weitere hinzugefügt.

Teheran saß letztlich doch am längeren Hebel

Tony Blair hatte postwendend "ab sofort" eine "härtere Gangart" gegen den Iran angekündigt - die Aussetzung der bilateralen Beziehungen, die Anrufung des UN-Sicherheitsrates und die Bemühungen, die anderen EU-Staaten auf Strafmaßnahmen einzuschwören. Ohne Zögern goß auch George W. Bush Öl ins Feuer. Der US-Präsident bot Unterstützung für militärische Sofortmaßnahmen an und dramatisierte die britischen Gefangenen zu "Geiseln". Um sein Angebot zu unterstreichen, ließ er - unter Verletzung des iranischen Luftraums - US-Kampfflugzeuge im Tiefflug über das Ölgebiet im südwestiranischen Chuzestan donnern.

Doch nach den ersten Tagen voller "Empörung" waren sanftere Zeiten im Krisenzentrum des Premierministers angebrochen. Man flehte Washington geradezu an, doch bitte keinesfalls militärisch "zu helfen". Blair rüstete auch rhetorisch ab, suchte nach Auswegen, nach konkreten Angeboten an Teheran, um die 15 Briten aus dem Land zu bekommen. Man muß Blair klargemacht haben, daß er allein mit der Demonstration von Unnachgiebigkeit und moralischer Siegesgewißheit in eine zweite 444 Tage währende Geiselkrise schlittern könnte, wie sie 1979 in der US-Botschaft in Teheran begonnen hatte.

London hat nun einen Brief des iranischen Außenministers Manutschehr Mottaki beantwortet, in dem die Regierung offenbar die Möglichkeit eines Code of Conduct an der seit Jahrzehnten umstrittenen irakisch-iranischen Seegrenze andeutete. Wie man hört, ist auch ein Marineoffizier entsandt worden, der eine Art Garantieerklärung abgab, daß britische Soldaten bei Kontrollfahrten im Golf hinfort mehr Umsicht walten lassen würden. Der britische Kurswechsel mag vor allem der Einsicht geschuldet gewesen sein, daß Teheran am längeren Hebel saß und die Soldaten noch lange hätte festhalten können. Für ein vergleichbares Vergehen, das angebliche Eindringen in iranische Hoheitsgewässer, hatte ein argloser deutscher Angler noch vor kurzem fast anderthalb Jahre in einem Teheraner Gefängnis zubringen müssen.

Zusätzlich scheint die Rechtsgrundlage im Fall der gefangengenommenen Briten nicht so sicher gewesen zu sein, wie die britische Regierung dies suggerierte. Craig Murray etwa, der britische Ex-Botschafter und frühere Seerechtsexperte im Außenministerium, wies in der New York Times darauf hin, daß es keine zwischen dem Irak und dem Iran abgestimmte Seegrenze im Persischen Golf gibt. Statt dessen war eine das britische Verteidigungsministerium logisch dünkende Grenze von den Briten selbst in die Seekarte eingetragen worden.

Nach 13 Tagen, die man die britischen Seeleute festgehalten hatte, waren sie - rechtzeitig zu Ostern - wohlbehalten wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Daß einige von ihnen bei ihrem "Debriefing" gegenüber ihren Vorgesetzten und gegenüber britischen Revolverblättern ausgemalt haben, wie zermürbend der psychische Druck war, der sie veranlaßt hat, im iranischen Fernsehen eine Grenzverletzung einzugestehen, braucht man nicht sonderlich ernst zu nehmen. Die Soldaten waren in dieser Affäre unbedeutende Statisten, denen noch dazu nichts Schlimmes geschehen ist. Wirklich vorgeführt von Teheran wurden der britische Premier und sein Kriegskabinett. Für Blair war diese mißlungene Patrouillenfahrt im Persischen Golf eine weitere Schlappe zum Ende seiner Amtszeit. Der Krieg im Irak, als dessen Sinnstifter er vor vier Jahren mit fast messianischem Gehabe auftrat, ist unpopulär und hat Blairs Glaubwürdigkeit demontiert. Das Tauziehen mit dem Iran, das London ohnehin nur verlieren konnte, paßt zu diesem Prozeß.

Die Episode mit den britischen Marinesoldaten läßt aber interessante Schlußfolgerungen auf das Verhalten der iranischen Führung im Streit mit den Westmächten zu: Plausibel scheint, daß Ajatollah Seyyed Ali Chamenei, Irans oberster religiöser Führer und Rechtsgelehrter, den ihm untergeordneten Staatspräsidenten anwies, die Soldaten freizulassen. Die Inszenierung durfte dann Ahmadi-Nedschad übernehmen. Er hat es sichtlich genossen, die in der ganzen Region noch mehr als die USA verhaßte ehemalige Kolonialmacht England demütigen zu dürfen. Seine Zustimmungswerte in der iranischen Bevölkerung haben sich dadurch sicher ein wenig gebessert.

Atompolitik ist eine Frage "der nationalen Ehre"

Vor allem aber hat Teheran in dieser Affäre bewiesen, daß es sehr genau den Zeitpunkt erkennt, an dem es sich für das Land lohnt, Flexibilität zu zeigen. Die letztlich unspektakuläre Lösung der heiklen Gefangenenkrise kann ein Hinweis darauf sein, daß in Teheran an entscheidenden Stellen offensichtlich auch Leute sitzen, die die Chancen und Risiken eines riskanten Spiels nüchtern kalkulieren können. Diplomatische Beobachter sehen in der Mechanik der iranischen Politik, wie sie im Umgang mit London sichtbar geworden ist, bei aller Vorsicht bereits eine vage Hoffnung für den Erfolg eines Verhandlungsprozesses auch im wesentlich komplizierteren Atomstreit.

Ahmadi-Nedschads neueste Erklärung zum "Nationalen Atomtag" hat diesem Streit wieder eine neue Nuance gegeben, als er verkündete, sein Land sei nun zur Urananreicherung in industriellem Ausmaß in der Lage.

Die Atompolitik ist für die Islamische Republik Iran - selbst für ausgesprochene Kritiker des Präsidenten - inzwischen längst zu einer Frage der Ehre avanciert. Auf Konfrontationskurs zum Uno-Sicherheitsrat zu gehen (der wiederholt einen Stopp der Urananreicherung gefordert hat), zu den USA und den anderen Kritikern, das zahlt sich innenpolitisch aus. Was sich nun außenpolitisch bewegt, wird daher spannend.

Foto: Ahmadi-Nedschad bei Rede zum "Nationalen Atomtag": Vage Hoffnung für den Verhandlungsprozeß


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